Kosmische Teilchenschleuder

Kosmische Teilchenschleuder

Like This Video 1 Susanne
Added by 14. Juni 2017


 

Schwarze Löcher als aktive Mitglieder von Werden und Vergehen im Universum

 

Schwarze Löcher – für beobachtende Astrophysiker sind die spektakulären Gebilde längst zu einem Alltagsphänomen geworden. Einen Großteil der von ihnen „angesaugten“ Materie schleudern sie in gewaltigen Jetströmen und Wolken wieder zurück in den Weltraum. Dort entstehen aus diesem Rohmaterial wieder neue kosmische Strukturen. Für den theoretischen Physiker ist das Schwarze Loch aber immer noch ein geheimnisvoller Ort, sagt doch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie vorher, dass Materie, hat sie erst einmal den sogenannten, bisher noch nicht beobachtbaren Ereignishorizont erreicht, für immer darin verschwindet. Astrophysiker rücken diesem magischen Ereignishorizont nun so nahe, dass eine Beobachtung der relativistischen Vorgänge erstmals möglich wird. Muss die Gravitationstheorie modifiziert werden, wie das der 2016 verstorbene Physiker Walter Greiner schon seit 2008 postuliert? Er sagte schlicht: Schwarze Löcher gibt es nicht!


 
Sprechertext der Sendung:
 
Walter Greiner war ein wissenschaftlicher Hans Dampf in allen Gassen: Als hoch dekorierter Schwerionenforscher hat er immer wieder innovative Ausflüge in fremde Wissenschaftsreviere gewagt: auch in die Astrophysik. Sogar Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie war nicht vor ihm sicher.

Archiv-Statement aus dem Jahr 2015
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Walter Greiner, Theoretischer Physiker, FIAS

Greiner, der 2016 starb, stellte sich damit klar gegen alle spekulativen Überflieger, die mit dazu beigetragen haben, dass die Schwarzen Löcher mächtiges Eigenleben entwickelten –stilisiert zu einer düsteren und vielfach ins Bild gesetzten Ikone unseres modernen Weltbildes.

Einsteins Relativitätstheorie zeigt uns das Universum mit gewaltigen, sich relativ zueinander bewegenden Massen. Deren Gravitationsfelder spannen ein sich veränderndes Netz dynamischer Feldlinien auf. Je mehr Masse im Spiel ist – desto stärker krümmen sich die zugehörigen Feldlinien. Das birgt ein physikalisches Problem: Die Gravitationstheorie lässt unter ungewöhnlichen, aber doch möglichen Randbedingungen eine unendliche Raum-Zeit-Krümmung zu. Eine derartige Konvergenz ins Unendliche bezeichnen Physiker als Singularität. Die Singularität in Einsteins Theorie taucht dort auf, wo man populär von einem „Schwarzen Loch“ spricht. Sie liegt genau an der Grenzfläche dieser kosmischen Exoten mit der Welt der bekannten Materie. Berechnet hat diesen Ereignishorizont erstmals Karl Schwarzschild.

Nach Einstein gilt: Materie wird von einem Schwarzen Loch auf immer engeren Bahnen mit steigender Geschwindigkeit angezogen – bei der Annäherung beginnt sie extrem zu leuchten, ist der Ereignishorizont erreicht, verschwindet sie endgültig aus unserer Welt. Die Frage bleibt: wohin? Spekulationen gehen sogar so weit, den Ereignishorizont als Übergangspunkt in Parallelwelten zu interpretieren.

Einblendung:
Ereignishorizonte für Größenordnungen verschiedener Massen:
– Erde 1 cm,
– Sonne 3 km,
– stellares Schwarzes Loch (100 Sonnenmassen) 300 km,
– superschweres Schwarzes Loch Milchstraße (4,2 Mio. Sonnenmassen) 12,7 Mio. km,
– größter bekannter Quasar ( 40 Mrd. Sonnenmassen ) 120 Mrd. km

Richtig ist: Schwarze Löcher sind gefräßig und saugen Materie der Umgebung auf. Doch Materie strömt aus ihrem Nahbereich auch wieder aus. Denn je mehr davon in ein Schwarzes Loch gezogen wird, desto größer wird dessen Rotationsenergie. Starke Magnetfelder entwickeln sich, die Materie heizt sich extrem auf. In mächtigen Jets wird ein großer Teil davon wieder zurück in den Weltraum geschleudert. Die Jets leuchten dabei hell im Gamma- und Röntgenlicht, sind aber auch im fernen Infrarot und Radiobereich sichtbar.

Astrophysiker wissen inzwischen auch, dass die seit Jahrzehnten bekannten Jets nicht die einzigen Materie-Abflüsse von Schwarzen Löchern sind. Bei aktiven Löchern werden auch großflächig molekulare Wolken in den Weltraum abgestoßen. Sie zeigen sich bei jungen und daher besonders aktiven superschweren Schwarzen Löchern, aber auch dann, wenn Galaxien miteinander kollidieren. In einer astronomisch kurzen Zeitspanne von einigen Millionen Jahren schleudern sie Materie in den Weltraum – in der Größenordnung von einer Milliarde Sonnenmassen. Das räumliche Umfeld des Schwarzen Lochs wird dabei weitgehend leer gefegt, was wiederum dessen Aktivität beeinflusst. Danach geht es in eine Phase geringer Dynamik über. Aus diesem ausgeschleuderten Material können sich im Weltraum sogar neue Sterne bilden. Vor kurzem hat ein internationales Team in solchen Winden Sternentstehung erstmals nachweisen können.

Einblendung Galaxien-Kollision – Entfernung: 600 Millionen Lichtjahre – Windgeschwindigkeit ca. 1000 km/s

Schwarze Löcher: also nicht nur Exoten der Vernichtung, sondern auch aktive Geburtshelfer neuer Strukturen! Doch all diese astrophysikalischen Beobachtungen zeigen uns nur Phänomene, die vor dem ominösen Ereignishorizont stattfinden. Die ultimative Frage bleibt bis jetzt offen: Was passiert mit der Materie direkt an oder hinter jener magischen Grenze? Die Frage können Astrophysiker heute nicht einmal für das nächst gelegene Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis beantworten, obwohl sie es seit über zwei Jahrzehnten unter anderem mit den Teleskopen der Europäischen Südsternwarte intensiv untersuchen. Dabei kamen sie zahlreichen Sternen auf die Spur, die es auf unterschiedlichen Bahnen umkreisen.

Mit dem neuen Projekt Gravity rücken die Astrophysiker dem Zentrum jetzt noch näher. Die vier VLTs sind dafür interferometrisch zusammengeschaltet. Mit Gravity wollen die Astrophysiker zuerst einmal neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie Schwarze Löcher Materie aufsaugen oder wie Jets und die hell leuchtenden Flares entstehen. Bei den Beobachtungen steht aber auch die Überprüfung der relativistischen Theorie zur Disposition. Denn 2018 kommt es zu einem wichtigen Ereignis. Der Stern mit der Bezeichnung S2 nähert sich dem Schwarzen Loch bis auf eine Entfernung, die nur noch 18 Lichtstunden beträgt und damit ungefähr vier Mal die Neptunbahn um die Sonne.

Einblendung Umlaufzeit: 16 Jahre – Perihel: 18 Lichtstunden = 1.500 Schwarzschildradien

Die gesamte Bahn des Sterns ist gut vermessen, jetzt wird diese Annäherung erstmals mit hoher räumlicher Auflösung zu verfolgen sein. Das wird den Astrophysikern die neue Möglichkeit geben, eine zentrale Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie zu überprüfen. Sie besagt, dass sich durch die extreme Raumkrümmung das Perihel von S2 messbar verschieben wird.

Womit wir wieder bei Walter Greiner angekommen sind: Er war alles andere als ein Kritiker der Gedankenwelt von Albert Einstein, dennoch störte ihn ein Aspekt ganz gewaltig.

Archiv-Statement aus dem Jahr 2015
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Walter Greiner, Theoretischer Physiker, FIAS

Greiner suchte deshalb nach einer mathematischen Lösung, die Singularität zu eliminieren – und damit das Entschwinden von Materie aus unserer Welt -, ohne jedoch die Grundfesten der Gravitationstheorie zu zerstören. Zusammen mit seinem ehemaligen Schüler Peter Hess gelang dies in der schon 2008 veröffentlichten pseudokomplexen Umformung der Theorie.

Archiv-Statement aus dem Jahr 2015
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Walter Greiner, Theoretischer Physiker, FIAS

Die pseudokomplex modifizierte Gravitation lässt Schwarze Löcher auf kosmischen Normalzustand fallen – die Singularität ist passé, und Materie verschwindet dort also nicht mehr ins Nirwana. Für das Konzept interessiert sich die Welt der Astrophysiker bis heute recht wenig. Doch mit Projekten wie Gravity rückt die Beobachtbarkeit der relativistischen Vorgänge an der Schwarzschild-Grenze erstmals in den Bereich des Möglichen.

Einblendung Daten:
– SgrA*
– Entfernung 27.000 Lichtjahre
– Masse 4,2 Mio. Sonnenmassen
– Durchmesser ca. 25 Mio. km
– Radius=Ereignishorizont: 12,5 Mio. km

Thomas Boller und Andreas Müller haben mit Kollegen die Wissenschaft für solche Beobachtungen jetzt gerüstet.

Talk von Susanne Päch mit Prof. Dr. Thomas Boller, Asrophysiker, MPE

Im April 2017 konnten Astrophysiker mit einer interferometrischen Messreihe global zusammen geschalteter Radioteleskope die Vorgänge direkt am Ereignishorizont erstmals beobachten – mit einer Auflösung von weniger als 1 Mikro-Bogensekunde. Doch diese verbesserte Auflösung der Teleskope allein ist für eine so weit reichende Neuinterpretation nicht genug. Die erste Prüfung rein relativistischer Effekte am Ereignishorizont braucht hohe Sicherheit in der Datenauswertung. Sind Jets und Winde am Schwarzen Loch der Milchstraße nur zeitweise vorhanden oder dauernd, aber so schwach, dass sie nicht beobachtbar sind? Das Wissen darüber ist noch gering, das macht die Sache reichlich kompliziert.

O-Ton Franke Eisenhauer, Astrophysiker, MPE

Bis klar ist, was am Ereignishorizont tatsächlich gemessen wurde, kann es noch länger dauern. Boller bleibt optimistisch. Er hofft, dass die Ergebnisse im Frühjahr 2018 vorliegen.

Talk von Susanne Päch mit Prof. Dr. Thomas Boller, Asrophysiker, MPE

Bleibt es bei Einsteins Theorie – oder ist Einstein künftig pseudokomplex zu interpretieren?
Hätte Greiner recht, könnte das sogar noch viel weiter reichende Folgen als die Entmystifizierung der Schwarzen Löcher haben – davon war der Gravitations-Querdenker jedenfalls überzeugt. Als ich ihn gut zwei Jahre vor seinem Tod an seiner letzten Wirkungsstätte, dem FIAS in Frankfurt, noch besuchen konnte, stellte er sogar den Urknall pseudokomplex zur Disposition.

Archiv-Statement aus dem Jahr 2015
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Walter Greiner, Theoretischer Physiker, FIAS

 
Erstsendung: Juni 2017
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© Vorschaubild: ESO

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