KI, Kärchern und Kooperationen
Künstliche Intelligenz erfasst die Wirtschaft vom Maschinenbau bis zur Pharmawelt
Wir zeigen zwei Beispiele der zunehmenden Digitalisierung in unserer Wirtschaft. Zuerst werfen wir einen Blick in den Maschinenbau. Das Traditions-Unternehmen Kärcher hat vor kurzem Florian Röhrbein, einen KI-Spezialisten aus der Forschung abgeworben, um Management, Produktion und Produkte digital aufzupeppen. Und Sepp Hochreiter, ein Pionier der neuronalen Netze, berichtet über die Aktivitäten seines Forschungsinstituts mit der pharmazeutischen Branche und wie dort neuronale Netze bei der Wirkstofffindung für Präparate erfolgreich eingesetzt werden können.
Sprechertext der Sendung:
Die deutsche Industrie entdeckt die Künstliche Intelligenz. Der Digital-Trend erfasst inzwischen alle Branchen. Zwei Fallbeispiele: die Pharma-Industrie, die mit der KI das breite Kooperieren über Firmengrenzen hinweg ganz neu definiert – und der mittelständische Maschinenbauer, der das Kärchern jetzt digital aufpeppt. Bei aller Vielfältigkeit der für KI heute genutzten Methoden gibt es doch einen gemeinsamen Kern.
Dr. Florian Röhrbein, KI-Spezialist und Neurorobotiker, Alfred Kärcher SE & Co. KG
Viele Daten als Input sorgen durch spezielle Algorithmen für Erkenntnisse, die sich der menschlichen Wahrnehmung entziehen. So sind die Vorteile wissenschaftlicher und technologischer Nutzungsfelder längst unumstritten. Die Bandbreite möglicher Anwendungen reicht inzwischen jedoch tief in den Alltag von Unternehmen hinein. KI kann dank umfassender Datenanalyse die Entscheidungsfindung im Top-Management unterstützen, aber ebenso der Forschung und Entwicklungsabteilung helfen und sogar in der Produktion die Qualitätsüberwachung übernehmen. Im internationalen Vergleich ist die deutsche Industrie trotz unterschiedlicher Pilotprojekte kein Vorreiter. Doch der Experte macht in Hoffnung.
Dr. Florian Röhrbein, KI-Spezialist und Neurorobotiker, Alfred Kärcher SE & Co. KG
So soll die jetzt beginnende KI-Welle auch beim Kärchern ganz neue Produkte hervor bringen – das Beispiel des Cleaning on Demand, noch nicht im Schnee, sondern bald auch im Supermarkt!
Dr. Florian Röhrbein, KI-Spezialist, Alfred Kärcher SE & Co. KG
Der jetzt ausgebrochene Hunger der Industrie nach KI-Fachleuten ist enorm – sowohl auf der Seite der Anwender als auch der Entwickler, wie hier bei SAP. Für die deutschen Hochschulen hat das einen unangenehmen Nebeneffekt: die einschlägige Science-Community dort läuft Gefahr auszudünnen, weil immer mehr Experten auf die andere Seite abwandern. Manche plädieren allerdings trotzdem für mehr Durchlässigkeit der gerade in Deutschland recht stabilen Mauern zwischen den Welten der Forschung und der Industrie.
Dr. Florian Röhrbein, KI-Spezialist und Neurorobotiker, Alfred Kärcher SE & Co. KG
Röhrbein war bei Hondas Asimo in jenem Team tätig, das an den kognitiven Fähigkeiten des Humanoiden arbeitete. Zuletzt leitete er an der TU München eine Gruppe für Neurorobotik. Es war die Zeit, in der sein Team sogenannte neuromorphe Roboter gebaut hat, um das Verhalten und die inhärente Intelligenz biologischer Organismen besser zu verstehen. Ergebnis waren mäuseähnliche Roboter wie diese. Seit 2018 nun ist Florian Röhrbein bei Kärcher, um mit all seinem Wissen aus Forschung und Industrie die KI-Strategie des Maschinenbauers zu gestalten und das Unternehmen wie die Produktpalette mit Künstlicher Intelligenz fürs Kärchern in der Zukunftswelt fit zu machen: von Dampfsaugern bis zu industriellen Reinigungsmaschinen – von Mährobotern für den Privatgebrauch bis zu Kehrsaugmaschinen.
Wechsel in die chemische Industrie. Auch hier ist jetzt der Digitalisierungs-Hype auf breiter Front ausgebrochen – mit möglicher anstehender Runderneuerung der Branche. BASF zum Beispiel hat mit Quriosity gerade einen Supercomputer aufgebaut, der vom Unternehmen gern als der leistungsstärkste in der gesamten Chemiebranche bezeichnet wird. Während BASF über Digitalisierung und das Superhirn viel veröffentlicht, findet man auf der Firmen-Webseite über das Thema Künstliche Intelligenz und neuronale Netze allerdings rein gar nichts. Auf Nachfrage aus der Pressestelle nur die karge Mitteilung, dass man für KI bei BASF „zurzeit“ keine öffentlichen Statements anzubieten hat. Doch „zurzeit“, das sagt halt rein gar nichts. Hinter den Kulissen ist in der Chemie-Branche gerade „High Noon“ angesagt, das berichtet jedenfalls einer, der es wissen muss: Sepp Hochreiter, als Mathematiker Mitbegründer der Technologie neuronaler Netze bringt es kurz und knapp auf den Punkt:
Prof. Dr. Sepp Hochreiter, Informatiker, Leiter des Instituts für Machine Learning, Universität Linz
Die Entwicklung eines neuen Medikamentes dauert heute rund 15 Jahre und verschlingt durchschnittlich zwei Milliarden Euro. Schon der Startprozess, die sogenannte „Wirkstofffindung“, ist langsam und kompliziert. Es ist die mehrere Jahre andauernde Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen. KI ist im komplexen Prozess der Wirkstofffindung für unterschiedliche Aufgaben brauchbar. Sie kann schon am Anfang der Entwicklung Prognosen darüber abgeben, welche Verbindungen das Zeug dazu haben, den ganzen Prozess erfolgreich zu überstehen, das, was der Experte die „Hitrate“ nennt. Bisher werden dafür in solchen automatisierten Hochdurchsatz-Screenings mehrere Millionen Verbindungen darauf getestet, ob sie auf das die Krankheit bestimmende Molekül tatsächlich wirken können.
Prof. Dr. Sepp Hochreiter, Leiter des Instituts für Machine Learning, Universität Linz
Die Hits sind aber nur erste Ausgangsverbindungen, die anschließend in eine tiefer gehende systematische Analyse im Labor gehen müssen. Dabei werden sie in ihrer chemischen Struktur in zahlreichen Zyklen immer weiter verändert, getestet und verbessert. Viele wichtige Fragen müssen dabei von der Forschung beantwortet werden – beispielsweise diese: Gibt es Varianten der Wirkstoffe, die noch besser binden und daher wirksamer sind? Wie steht es mit toxischen Nebenwirkungen, die den Wirkstoff möglicherweise auch ausschließen? Welche sonstigen unerwünschten Nebeneffekte sind zu berücksichtigen? Die allermeisten der Kandidaten werden in diesem langwierigen Labor-Prozess wieder verworfen. Am Ende dieser rund vier Jahre dauernden Wirkstofffindung bleiben dann wenige Substanzen übrig. Sie gehen anscließend in die präklinische Entwicklung mit Tierversuchen. (Einblendung: Wirkstofffindung – Analyse 4 Millionen chemischer Verbindungen, Detailanalyse mehrere 10.000, präklinische Entwicklung – 10-20 Testsubstanzen für Tierversuche)
Prof. Dr. Sepp Hochreiter, Leiter des Instituts für Machine Learning, Universität Linz
Die Wirkstofffindung im Forschungslabor ist bis heute vor allem ein Spiel mit Versuch und Irrtum. Wäre es also möglich, die Zahl der erforderlichen Tests stark einzudämmen, dann brächte das für die Pharmariesen Bares in nicht unbeträchtlicher Höhe. Die KI mit ihrer statistisch-korrelierenden Methode großer Datenmengen ist dafür ein mächtiges neues Werkzeug. Sie kann die gefundene Auswahl nicht nur beschleunigt eingrenzen, sondern sie sogar erweitern.
Prof. Dr. Sepp Hochreiter, Leiter des Instituts für Machine Learning, Universität Linz
Die in den Etagen der Top-Manager ausgebrochene KI-Euphorie hat jetzt schon Konsequenzen: Der Experte versucht, die Erwartungen zu dämpfen. Denn moderne Magie ist Künstliche Intelligenz eben auch nicht.
Prof. Dr. Sepp Hochreiter, Leiter des Instituts für Machine Learning, Universität Linz
Dass der Dateninput bei neuronalen Netzen für die Qualität der Vorhersagen der entscheidende Schlüssel ist, das hat die Pharma-Industrie verstanden. Jeder Marktteilnehmer hat bisher seine eigenen molekularen Forschungs-Datenbanken weitgehend unter Verschluss gehalten. Doch die durch die KI entstehenden Vorteile sind so groß, dass sich die Branche jetzt eine ungewöhnlich umfangreiche Kooperative auf den Weg bringen könnte, nämlich: die eigenen Forschungsdaten für ein großes, gemeinsames KI-System zu öffnen. Gibt es vielleicht bald schon ein fast allwissendes KI-Orakel im Einsatz der pharmakologischen Forschung?
Erstsendung: Februar 2019
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