Labor der Alchimisten

Labor der Alchimisten

Like This Video 0 Susanne
Added by 10. Januar 2019

Christoph Düllmann und die Vermessung superschwerer Atome

 

Studio-Talk aus unserer Serie „Forscher und Fakten“: Christoph Düllmann ist ein Alchimist des 21. Jahrhunderts. Nur, dass Kernchemiker wie er nicht mehr versuchen Gold herzustellen, sondern superschwere, auf der Erde und im Universum bisher unbekannte Elemente. In unserer Studiosendung gibt er Einblicke in seine Experimente, die nur wenige Sekunden dauern, ehe die neu entstandenen Atome radioaktiv zerfallen. Aber trotz dieser kurzen Zeitspanne ihrer Existenz sind sie messbar. Ein wichtiges Ziel solcher Grundlagenforschung ist es festzustellen, ob das Periodensystem ein natürliches Ende hat und wo es liegen könnte.

 
 
Sprechertext der Sendung:
 
Heute geht es um die Synthese superschwerer Elemente. Davor aber zum Einstieg erst einmal ein paar Facts and Figures für die wichtigsten Grundlagen der atomaren Welt. Unser chemisches Wissen über die Elemente ist im Periodensystem strukturiert. Es kennzeichnet von links nach rechts die unterschiedlichen Eigenschaften von Elementen: von den Metallen bis zu den Gasen. Die sogenannte Ordnungszahl z beschreibt die Zahl der Protonen in den Kernen der Atome. Das Uran mit der Ordnungszahl 92 ist heute das schwerste in der irdischen Natur bisher nachgewiesene Element. Bestimmt werden die chemischen Eigenschaften der Elemente durch die Zahl der Elektronen um den Kern, weshalb sich Chemiker traditionell eher selten mit dem Kern von Atomen befassen, wie uns Christoph Düllmann von der Uni Mainz jetzt offenbaren wird.

Prof. Dr. Christoph Düllmann, Kernchemiker, GSI Darmstadt und Uni Mainz

Die Elektronen bestimmen zwar die chemischen Eigenschaften, aber der weitaus größte Anteil der Masse befindet sich direkt im Atomkern. Er besteht nicht nur aus Protonen, sondern auch aus Neutronen. Das Uran als schwerstes Element hat 92 Protonen und 146 Neutronen, korrespondierend zur Massenzahl 238 (Einblendung: Massenzahl = Anzahl Protonen + Anzahl Neutronen). Es gibt aber auch andere sogenannte Isotope von Uran, die chemisch identisch sind und sich nur durch eine abweichende Zahl von Neutronen unterscheiden (Einblendung: Uran-Isotope 142, 134 oder 146 Neutronen). Die innere Struktur der Kerne ist vergleichbar wie die bei Elektronen in der Atomhülle. Sowohl Protonen als auch Neutronen sind in Schalen angeordnet. Die durch die aufgefüllten Schalen erzeugte höhere Stabilität von Elementen hat man schon in Zeiten erkannt, als all das noch unklar war. Die Zahlen wurden deshalb zuerst einmal „magisch“ genannt. Sind die Protonen- und/oder Neutronenschalen gefüllt, ist der Kern besonders stabil. Diese erhöhte Stabilität hat man erkannt, als all das noch unklar war, weshalb man diese typischen Protonen- und Neutronen-Zahlen, die den komplett gefüllten Schalen entsprechen, zuerst einmal „magisch“ genannt hat. Obwohl sie ihre Magie längst verloren haben, ist der Terminus in der Physik bis heute gebräuchlich geblieben. (Einblendung: Protonen: bekannt sind: 2-8-20-28-50-82 – mögliche Fortsetzung: 114 oder 120 oder 126 Neutronen: 2-8-20-28-50-82-126)

Prof. Dr. Christoph Düllmann, Kernchemiker, GSI Darmstadt und Uni Mainz

Die magischen Zahlen umgibt aber auch heute noch ein Geheimnis. Niemand weiß, wie sich diese Reihe vor allem bei den Protonen mit den sogenannten superschweren Elementen tatsächlich fortsetzt. (Einblendung: magische Zahlen Protonen 2-8-20-28-50-82-114??-120??-126??) Das ist natürlich auch für die Erzeugung superschwerer Elemente eine relevante Fragestellung. Dazu später mehr. Jetzt erst einmal das Thema, wie man solche superschweren Atome überhaupt erzeugen kann.

Prof. Dr. Christoph Düllmann, Kernchemiker, GSI Darmstadt und Uni Mainz

Will der Chemiker heute also superschwere Elemente herstellen, dann muss er sich zwangsläufig auch mit der Welt der Atomkerne befassen.

Prof. Dr. Christoph Düllmann, Kernchemiker, GSI Darmstadt und Uni Mainz

Kernchemiker wie Düllmann sind moderne Nachfahren der Alchemisten. Was Paracelus in seinem mittelalterlichen Labor im 15. Jahrhundert noch nicht gelang, können sie heute mit solchen hundert Meter langen Beschleunigeranlagen wie hier am GSI bewerkstelligen. Für Chemiker ist inzwischen nicht mehr die Herstellung von Gold das Ziel der Träume, sondern die Herstellung superschwerer Elemente, exotische Elemente also, die in der Natur überhaupt nicht vorkommen. Warum ist das eigentlich so? Und warum endet auf der Erde alles mit Uran und der Ordnungszahl 92? Dazu muss man sich vor Augen halten, dass alle natürlich vorkommenden Elemente, aus denen sich der Planet Erde zusammensetzt, bereits in der planetaren Ursuppe bei der Entstehung unseres Sonnensystems vorhanden gewesen sein mussten.Es könnte in der Erdgeschichte früher also auch superschwere Elemente gegeben haben, die aber nach 4,5 Milliarden längst zerfallen und daher für uns nicht mehr nachweisbar sind. Die Tatsache, dass wir hier auf der Erde keine schwereren Elemente finden, heißt also nicht, dass es sie hier nie gegeben hat – und schon gar nicht, dass sie nicht irgendwo im Kosmos gerade produziert werden. Im Universum entstehen schwere Elemente schon in Sternen.

Eisen ist ein sehr häufig vorkommendes Element in der Sternentwicklung. Besonders schwere Elemente bis zum Blei findet man in einer speziellen Sternklasse – und dann natürlich auch durch die gewaltigen Kräfte in kosmischen Katastrophen: In explodierenden Sternen, die wir in unserer Galaxie als Supernovae beobachten. Bisher hat die Astrophysik im Universum jedoch spektroskopisch keine Elemente nachweisen können, die schwerer sind als Blei. Allerdings steckt der Nachweis von Spektren himmlischer Objekte noch in den Kinderschuhen – und reicht bisher nicht auch nicht über die Analyse von Vorgängen in unserer eigenen Milchstraße hinaus. Kein Astrophysiker würde heute wohl trotz bisher fehlenden experimentellen Nachweises behaupten, dass es nirgends im Kosmos zur Erzeugung sogar superschwerer Elemente kommen kann, beispielsweise bei der Verschmelzung von Neutronensternen oder Schwarzen Löchern.

Was die Forschung aus dem Labor der Natur noch nicht nachweisen konnte, gelingt inzwischen im Labor der Chemiker. Immer geht es dabei darum, ionisierte Atome mit extrem hohen Geschwindigkeiten auf ein sogenanntes Target zu schießen. Die Kunst liegt darin, die richtigen Isotopen auf geeignetes Material wirken zu lassen. Dabei kann dann ein neues Element entstehen, wenn auch nur für kurze Zeit.

Prof. Dr. Christoph Düllmann, Kernchemiker, GSI Darmstadt und Uni Mainz

Bei Düllmanns Forschungen geht es also nicht darum, ein bisher unbekanntes superschweres Atom zu erzeugen. Ihn als Chemiker interessieren die besonderen Fälle, in denen einzelne Atome beim Beschuss in den Grundzustand gekommen sind und so chemisch untersucht werden können. Düllmann arbeitet z.B. mit dem superschweren Element Flerovium, Ordnungszahl 114, das 2004 erstmals hergestellt wurde. Bildet sich so ein Flerovium-Atom im Grundzustand, dann trägt sein Kern 174 oder 175 Neutronen und hat damit zusammen mit den 114 Protonen 288 oder 289 Kernbausteine – man spricht von den Isotopen Flerovium 288 und 289. Der Aufwand, solche Atome im Labor herzustellen, ist sehr groß – und der Nachteil dabei: Es entstehen nicht nur sehr wenige davon, sondern sie zerfallen dann auch extrem schnell, etwa innerhalb einer Sekunde. Allerdings: Für Düllmann ist das trotzdem eine ganz andere Welt!

Prof. Dr. Christoph Düllmann, Kernchemiker, GSI Darmstadt und Uni Mainz

Um das Atom chemisch vermessen zu können, strömt es in einem Trägergas in einen 30 cm langen Kanal, der mit Detektoren bestückt ist, die den radioaktiven Zerfall von Flerovium-Atomkernen nachweisen können. Alle Detektoren in diesem Miniatur-Düsenkanal sind mit einer hauchdünnen Goldschicht überzogen, die unterschiedlich gekühlt ist – von Zimmertemperatur bis hinunter zu minus 170 Grad. Ist das Atom metallisch, dann bindet es sich stark an die Goldschicht, bleibt bereits am Anfang des Detektorkanals hängen und zerfällt dort. Handelt es sich um ein flüchtiges Edelgas, dann wird es erst in den letzten Detektoren bei tiefsten Temperaturen zerfallen. In jedem Fall gilt aber: In gut einer Sekunde ist dann alles schon vorbei. Düllman hat 2014 mit seinen Experimenten erstmals nachwiesen können, dass Flerovium wohl eher ein bleiähnliches Element ist. Noch ist das aber umstritten, denn eine andere Forschergruppe aus der Schweiz, die in Russland arbeitet, deutet ihre Messungen mit Flerovium als Hinweis auf ein eher edelgasähnliches Verhalten. Weitere Forschung tut Not! Blicken wir jetzt aber noch einmal in den Kern der Atome, zu den magischen Zahlen. Wie ich eingangs schon gesagt habe, ist offen, wie weit es bis zur nächsten magischen Zahl ist, also wo sich die nächste Schale in den Kernen schließt. Sie verheißt für die Zukunft stabilere Elemente, salopp auch „Insel der Stabilität“ genannt, die ungewöhnliche, auf der Erde bisher unbekannte Eigenschaften haben könnten.

Prof. Dr. Christoph Düllmann, Kernchemiker, GSI Darmstadt und Uni Mainz

Nun scheint die Frage, ob ein Atom zwei oder zehn Sekunden lebt, nicht sonderlich spannend. Aber der Forscher gibt da eine viel weitreichendere Perspektive.

Prof. Dr. Christoph Düllmann, Kernchemiker, GSI Darmstadt und Uni Mainz

Damit sind wir dann endgültig im Bereich der Science Fiction angekommen. Düllmann selbst fasziniert zwar auch die Insel der Stabilität und die damit verbundene Hoffnung auf die Entdeckung bisher unbekannter Materialeigenschaften. Aber der Blick des Experimentators zielt zuerst einmal auf das Jetzt, und dann – als gediegener Grundlagenforscher – auch auf die ultimative Frage, ob es in unserem Universum ein Ende des Periodensystems gibt und wo es dann liegen könnte. Meine Studiosendung schließt heute mit dem Originalton aus der Wissenschaft!

Prof. Dr. Christoph Düllmann, Kernchemiker, GSI Darmstadt und Uni Mainz
  
Erstsendung: Januar 2019
© 2019 mce mediacomeurope GmbH
© Vorschaubild: GSI Darmstadt

  
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