Grenzüberschreitungen
Expertentreff zur Digitalisierung der Cloud-gesteuerten Mobilität von morgen
Die Experten sind sich einig: Mit der zunehmenden Digitalisierung lösen sich die tradierten Branchengrenzen auf. Gleichzeitig stellen die neuen Marktanforderungen Entwickler vor große Aufgaben, denn viele der erforderlichen Technologien – beispielsweise Sensoren für autonomes Fahren oder das Internet der Dinge – sind bei aller Euphorie längst noch nicht massentauglich. Auch die Fragen um Datenschutz und Datensicherheit bilden eine offene Flanke für die Steuerung mit Hilfe der Cloud. Die Reportage gibt einen Überlick eines Gedankenaustauschs der Insider aus unterschiedlichen Branchen, von der Luftfahrt über die Automobilindustrie bis zu jungen Start-Ups mit frischen Ideen für den Markt von morgen.
Sprechertext der Sendung:
Die Digitalisierung und die dezidierte Meinung des Industrie-Experten aus der Luftfahrt:
O- Ton (Übersetzung) Peter Weckesser, Digital Transformation Officer, Airbus Defence and Space
Die meisten Leute glauben, dass Digitalisierung vor allem eine Frage der Technik ist, etwas mit IT-Systemen. Ich sage dann, richtig, aber nur zum Teil. Denn genauso wichtig ist, dass die digitale Transformation einen gewaltigen Einfluss auf unsere gesamten internen Prozesse nimmt.
Zwischen Himmel und Erde herrscht inzwischen extreme Dynamik – unbemannte Drohnen, selbstfahrende Autos, zusammen geschaltete Lkw-Züge, Platooning genannt, und natürlich die berühmten gewordenen Flugtaxis. Airbus wird nach eigener Angabe mit dem sogenannten Pop-Up schon in weniger als zehn Jahren nicht mehr nur Flugzeuge verkaufen, sondern mit Partnern auch einen Service für kombinierte Luft-Boden-Taxis auf Abruf anbieten. Klar ist jedenfalls:
O-Ton Gunnar Heipp, Strategic Urban Mobility Consulting
Die tradierte Branchenstruktur löst sich mehr und mehr auf, denn die immer dominanter werdenden digitalen Lösungen schneiden den Markt dazu meist quer.
O-Ton Dr. Thomas Clark, Geschäftsführer Amba Media GmbH
Wir sind hier übrigens im mondänen Show Room des Ludwig-Bölkow-Campus, ein Münchner Forschungsareal von Industrie und mehreren Hochschulen, auf dem die Zukunft das Ziel ist. Das eintägige Experten-Treffen zeigte hier den grenzüberschreitenden Blick der etablierten Mobilitäts-Industrie. Auch zahlreiche Start-Ups präsentierten ihre Ideen für die neue Welt.
O-Ton (Übersetzung) Robin Streiter, Mitgründer und Geschäftsführer Naventik GmbH
Das Problem ist heute, dass wir zwar autonome Fahrzeuge auf der Straße haben, aber sie nutzen Sensoren und Technologien, die zumindest kurzfristig nicht für den Massenmarkt skalierbar sind. Es ist deshalb ziemlich schwierig, solche Fahrzeuge im Massenmarkt anzubieten.
Zumindest für ein Produkt scheint die Massentauglichkeit jetzt hergestellt: für sogenannte Lidars. Sie wurden dank Halbleitertechnologien im MEMS-Format für den Massenmarkt fit gemacht – ausgedacht vom Start Up Blickfeld.
O-Ton (Übersetzung) Dr. Florian Petit, Gründer und Geschäftsführer Blickfeld GbmH
Unser Produkt ist nicht nur für das autonome Fahren wichtig, es wird viele andere vertikale Branchen beeinflussen: das Internet der Dinge, Smart-City-Anwendungen – und natürlich auch Drohnen wie Entwicklung der Robotik.
Da ist sie also wieder: die Grenzen sprengende Wirkung digitaler Technologien! Selbst die so entfernt scheinenden Welten der Spiele-Industrie und der Automobilhersteller wachsen immer mehr zusammen. Zwar haben sich Gaming-Entwickler schon immer von echten Rennwägen inspirieren lassen. Aber anders herum? Betrachten wir es einmal so: Für ein autonomes Fahrzeug gibt es zwischen dem Fahren auf realen Straßen und der Fortbewegung in einer nur virtuell programmierten Umwelt grundsätzlich keinen Unterschied. Denn das Auto nimmt seine Welt sowieso nur über Sensoren und die so erzeugten Datenströme wahr. Warum also den virtuellen Fahrer nicht in die digitale Fahrschule schicken? NVIDIA als ein führendes Technologie-Unternehmen von Gaming-Plattformen ist schon früh auf diese Idee gekommen und bereits mächtig ins autonome Fahren gedriftet.
O-Ton (Übersetzung) Joachim Langenwalter, Direktor Automotive Softare, NVIDIA GmbH
Ein Automobil produziert in einem Jahr etwa 1 Petabyte an Daten. Das erfordert auch schnelle Prozessoren, um diese Daten verarbeiten zu können. Und das ganze braucht auch viel Energie. All das zusammen verursacht wegen der geringen Stückzahlen hohe Kosten. Außerdem kann man diese Fahrzeuge im realen Verkehr nicht genügend testen. Einige tausend Fahrzeuge, die zusammen nur wenige Millionen Meilen fahren, das reicht da bei weitem nicht. Außerdem sind solche Tests teuer und zeitraubend.
Die Experten von NVIDIA schätzen, dass ein autonomer Fahrer Milliarden gefahrener Kilometer braucht, bis er sich in allen erdenklichen Verkehrs- und Gefahren-Situationen richtig verhalten kann. Nur so lassen sich die neuronalen Netze der Autonomen auf richtige Reaktionen trimmen. Über aufwändige Testfahrten ist das einfach nicht zu schaffen – und schwere Gefahrensituationen kann man im realen Verkehr sowieso nicht richtig austesten. Die Anforderungen an eine Plattform dieser Art sind natürlich groß: Am Anfang steht eine virtuelle Echtzeit-Welt, in die das Fahrzeug dann eintauchen kann. Deren Software verarbeitet diese Umgebungsdaten so, dass sie den Input der unterschiedlichen Sensoren des Fahrzeugs simuliert. Anhand der tatsächlichen Fahraktionen werden die Daten permanent aktualisiert und ins autonome System zurückgespielt. Die komplette Basis-Plattform für autonomes Fahren entwickelt der PC-Gaming-Experte übrigens zusammen mit Automotive-Zulieferern. Sie kommt inzwischen bei Tesla, der Volkwagen-Gruppe sowie dem Daimler-Konzern zum Einsatz. Mobilität ist Trumpf in der modernen Gesellschaft. Aber wo das Fahrzeug parken, wenn es gerade niemand braucht? Parknav bietet in den USA und inzwischen auch in mehreren deutschen Städten einen Service für das Finden freier Parkplätze an – nach eigener Angabe mit 80 prozentiger Genauigkeit.
O-Ton (Übersetzung) Dr. Eyal Amir, CEO und Gründer Ai Incube Inc.
Es geht im Grund um Verfügbarkeit, das ist unser Zukunftsprodukt. Auch ohne Kameras wird man dann wissen, was sich in einer Straße befindet – und auch in einem Geschäft oder in einer Region. Als Konsument hat man dann die Entscheidung. Grundlage von Parknav sind alle möglichen, gekauften Echtzeit-Daten: zum Beispiel Verkehrsdaten, Apps-Positionsdaten, Daten für den Stromverbrauch, ja, sogar über den Internetverkehr und die Bewertungen von Geschäften. All das verarbeitet Parknav mit einem selbst entwickelten Algorithmus, der auch hier die Grenzen sprengt.
Grundlage von Parknav sind alle möglichen, gekauften Echtzeit-Daten: zum Beispiel Verkehrsdaten, Apps-Positionsdaten, Daten für den Stromverbrauch, ja, sogar über den Internetverkehr und die Bewertungen von Geschäften. All das verarbeitet Parknav mit einem selbst entwickelten Algorithmus, der auch hier die Grenzen sprengt.
O-Ton (Übersetzung) Dr. Eyal Amir, CEO und Gründer Ai Incube Inc.
Wir nutzen alle Daten, die uns Aufschluss über die Bewegungen von Menschen geben. Wir wissen nichts über die Individuen, aber wir wissen, wie viele Menschen in bestimmte Bereiche kommen – oder wie viel Energie dort verbraucht wird. Zusammen mit unseren eigenen Beobachtungen in den Straßen können wir abschätzen, ob dort Parkplätze verfügbar sind oder auch nicht.
Wir sind hier an der Schnittstelle zum großen Feld der Datennutzung und des Datenschutzes angekommen. Das noch ungeklärte Spannungsfeld: berechtigter Schutz persönlicher Daten einerseits – und kollektive Effizienzsteigerung der modernen Gesellschaft andererseits – ohne Big Data aus der Cloud einfach nicht machbar. Die neue Datenschutz-Grundverordnung gibt jetzt jedem Bürger das Recht, seine Daten aus der digitalen Welt löschen zu lassen und damit aus der Gemeinschaftscloud auszusteigen. Eine alternative Möglichkeit: Die Anonymisierung solcher Daten durch den Datensammler. Das Start Up Brighter AI hat eine Software vorgestellt, die Videobilder nicht mehr geblurrt, sondern die Gesichter darin „entindividualisiert“.
O-Ton Patrick Kern, Mitgründer und CTO, Brighter AI Technologies GmbH
Brighter AI bietet eine Box, mit der sich jetzt Archive bestehender Datenbanken gesetzeskonform anonymisieren lassen.
O-Ton (Übersetzung) Asaf Birnhack, Mitgründer und CBO, Brighter AI Technologies GmbH
Unser Ziel ist es also, die Software in der Hardware einzubetten, beispielsweise direkt auf einem Chip der Kamera oder in Auto. Für die Anonymisierung könnte man unsere Software natürlich auch nach der Aufzeichnung in Datenzentren laufen lassen, aber wir als Firma möchten unsere Entwicklung direkt in die Hardware bringen. Unser Deep-Learning-Algorithmus sollte direkt in der Kamera oder im Auto lernen, die Bilder zu anonymisieren, so dass es keiner Zwischenspeicherung bedarf.
Individuen rein – anonymisierte Menschen heraus, so stehen diese Daten für eine Vielzahl von Mobility-Services offen.
O-Ton Gunnar Heipp, Strategic Urban Mobility Consulting
Künftig könnte die Cloud-Assistenz auf der Grundlage von Mobility-Daten sogar die Terminplanung und das gesamte Zeitmanagement für jedes Individuum effizienzgeprüft managen.
O-Ton Gunnar Heipp, Strategic Urban Mobility Consulting
Im Zentrum solcher Ideen: Anonymisierte Daten – das Gold der modernen Industriegesellschaft. Eine Debatte über Datenschutz versus Datentransparenz tut not, meint daher der Experte.
O-Ton Dr. Thomas Clark, Geschäftsführer Ambo Media GmbH
Das eigene Ich also und die Masse der anderen – und dazwischen der uns regelnde Informationsfluss anonymer Dritter. Auch hier: Die Grenzen zerfließen immer mehr.
Erstsendung: Juni 2018
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