Frei schwebend

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Added by 1. April 2018

Forschung mit Aerosolen in der Wolkenkammer

 

Die Bildung von Wolken in der Atmosphäre ist ein Phänomen, bei dem Aerosole eine entscheidende Rolle spielen. In Anlagen wie der Wolkenkammer des KIT können sie Wissenschaftler künstlich wachsen lassen. Wie das geht, was uns solche Experimente an neuem Wissen bringen und wo sie heute ihre Grenzen haben, zeigt die Reportage von Susanne Päch. Ebenso berichtet sie über ein amerikanisches Experiment, mit dem in Kürze das Einbringen von Aerosolen zur Veränderung der irdischen Strahlungsbilanz unter realen Bedingungen erstmals geprobt werden soll. Deutsche Experten wie der theoretische Physiker und Klimamodellierer Andreas halten wenig von diesem Versuch.

  
Sprechertext der Sendung:
 
Tobias Schorr ist ein echter Wolkengucker – er schaut am liebsten in hoch gelegene Cirruswolken, die den Himmel des arktischen Winters vielfach bedecken. Sehen kann er sie dabei allerdings nicht, denn die Sonne scheint in der Arktis nur im Sommer. Der Winter dagegen liegt in ständiger Dunkelheit. Aber das macht nichts, denn Schorr forscht gar nicht draußen im Feld, sondern experimentiert nur hier in diesem Labor: im weltweit ziemlich einmaligen Wolkensimulator des Karlsruher Instituts für Technologie. Wie das geht und dass das Grundlagenforschung mit einem anwendungsorientierten Hintergrund ist, davon später mehr.

Wer also Wolken erkunden möchte, der kann das heute in so einem überdimensionalen Kühlschrank.
 
O-Ton Prof. Dr. Thomas Leisner, Experimentalphysiker, Leiter des KIT-Instituts für atmosphärische Aerosolforschung
 
Der Chef ist bekanntlich immer gut fürs Grundsätzliche. So lasse ich mich von ihm zuerst einmal durch die Experimentieranlage führen.
 
O-Ton Prof. Dr. Thomas Leisner, Experimentalphysiker, Leiter des KIT-Instituts für atmosphärische Aerosolforschung
 
Ganz oben darf ich also einen Blick auf den viertausend Liter fassenden „Gefrierschrank“ werfen, dorthin, wo die normale, aber aus Forschersicht „verschmutzte“ Luft zuerst rausgepumpt und dann gänzlich reine Luft (79 % Stickstoff und 21 % Sauerstoff) hinein geblasen wird – das Testfeld für die Wolkenforscher, in das sie dann gezielt jene Schwebeteilchen hineinmischen, die sie untersuchen wollen. (Einblendung: Temperatur -90 und +60 Grad Celsius, Druck: 1 Millibar – 1 Bar) Die Experimente haben drei wesentliche Parameter: Druck, Temperatur und Feuchte, die nun kontrolliert verändert werden können. Sinkt der Druck, dann bilden sich an den Aerosolen Tröpfchen, die zur Wolkenbildung führen, wie mir Leisner in einem Modellexperiment in der Dose zeigt – eine Miniwolke durch Druckverlust mit einer Pumpe.
 
O-Ton Prof. Dr. Thomas Leisner, Experimentalphysiker, Leiter des KIT-Instituts für atmosphärische Aerosolforschung
 
Und die kommen mit fossiler Verbrennung schwefelhaltiger Materie.
 
O-Ton Prof. Dr. Thomas Leisner, Experimentalphysiker, Leiter des KIT-Instituts für atmosphärische Aerosolforschung
 
Da diese Tröpfchen das Licht anders als das sonstige Gas der Atmosphäre brechen, erscheinen sie uns undurchsichtig weiß, als Wolke eben. Hier, von diesem Kontrollraum aus, werden die unterschiedlichen Wechselwirkungen der Luft mit den Aerosolen überwacht. Hunderte von Sensoren messen das physikalische Geschehen in der gesamten Laborwolke, wie sich die Aerosolkonzentration darin verteilt, ebenso die Wolkentröpfen- und die Eiskonzentration.
 
O-Ton Prof. Dr. Thomas Leisner, Experimentalphysiker, Leiter des KIT-Instituts für atmosphärische Aerosolforschung
 
Doch selbst in diesem weltweit größten Wolkensimulator haben die Experimente Grenzen des Machbaren. So sind sie zeitlich auf etwa 30 Minuten Dauer begrenzt, es kommt zudem bei der Temperaturabsenkung zum unliebsamen Nebeneffekt, dass die Wände des Simulators während der Tests langsamer abkühlen. Dadurch kommt es im Randbereich der simulierten Wolke zu einem Wärmeaustausch, der in der Natur nicht auftritt. Auch die gleichzeitige Wechselwirkung mit der von der Sonne einfallenden Strahlung kann derzeit noch nicht simuliert werden. Doch bald soll auch das möglich sein. Aber trotzdem: Labor ist eben „nur“ Labor. So bleibt die Überprüfung der Daten schwierig. Bisher ist es nicht möglich, einzelne Teilchen in der Atmosphäre wie im Labor über viele Minuten hinweg zu verfolgen – draußen, in der Realität. Doch Leisner ist ein kreativer Kopf. In meinem Talk, der schon auf Sendung ist, hat er mir als Bonusmaterial noch etwas über seinen großen Traum erzählt: über das mächtige Reallabor in echten Wolken.
 
O-Ton Prof. Dr. Thomas Leisner, Experimentalphysiker, Leiter des KIT-Instituts für atmosphärische Aerosolforschung
 
Natürlich wollte ich auch wissen, wie das technologisch gehen könnte. Und da wartet Leisner mit einer interessanten Information auf. Die Technologie dafür wäre schon state of the art: Der Fussball zeigt, wie es gehen könnte – und hat den Aerosolforscher offenbar mächtig stimuliert.
 
O-Ton Prof. Dr. Thomas Leisner, Experimentalphysiker, Leiter des KIT-Instituts für atmosphärische Aerosolforschung
 
Vom Zukunftsraum des Chefs jetzt zum Forschungsschwerpunkt seines Doktoranden. Tobias Schorr simuliert in der Kammer also Cirruswolken der Arktis. Cirrus sind Wolken in der obersten Atmosphäre (Einblendung Grafik Atmosphärenaufbau). Hier oben kommt es nur noch zu wenig Dynamik. Das, was wir als Wettergeschehen wahrnehmen, also Regen, Schnee sowie Blitz und Donner, spielt sich in den turbulenteren, wesentlich niedrigen Bereichen von nur wenigen tausend Metern Höhe ab. Cirrus-Wolken sind ein Phänomen, das immer an die Bildung von Eiskristallen gekoppelt ist. Im atmosphärischen Gas braucht es einen Auslöser, eine Art Katalysator: und das sind die Aerosole. In der Stratosphäre spielen schwefelhaltige Partikel die wichtigste Rolle. Bei der Forschung von Schorr geht es aber nicht nur um die Eisbildung, sondern auch um das, was der Physiker die irdische Strahlungsbilanz nennt.
 
O-Ton Tobias Schorr, Doktorand am Institut für atmosphärische Aerosol-Forschung
 
Noch also ist’s bis zu einem allgemeingültigen Modell der irdischen Strahlungsbilanz ein weiter Weg.
Dennoch steht bei solchen Experimenten schon etwas im Hintergrund, das heute unter dem Begriff des Climate Engineering zusammengefasst wird und meint: Technologien, mit denen wir den menschgemachten Treibhauseffekt eindämmen können. Dass die Politik bei der Beantwortung dieser Frage versagt, dämmert inzwischen selbst den größten Optimisten. So rücken Szenarien in den Vordergrund, technologisch für irdische Abkühlung zu sorgen. Der weltweite Handlungsdruck steigt – und die Arktis könnte dafür zum veritablen Druckventil avancieren.
 
O-Ton Tobias Schorr,Doktorand am Institut für atmosphärische Aerosol-Forschung
 
Noch hat das Konzept in Europa das Ideenstadium nicht verlassen. Die Experimente beschränken sich ausschließlich auf das Wolkenlabor. Die polare Nacht künftig für das Climate Engineering zu nutzen, hat auf den ersten Blick gewissen Charme. Das Loch ließe einfach nur sämtliche Wärme ab – ganz ohne Wechselwirkungen mit einfallender Sonnenstrahlung. Doch wie steht es mit unerwünschten Nebeneffekten? Da hält sich der Jungwissenschaftler verständlicherweise bedeckt. Die Antwort dieser Frage liege noch im Dunkel der Arktis.
 
O-Ton Tobias Schorr, Doktorand am Institut für atmosphärische Aerosol-Forschung
 
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist die Wissenschaft bei diesem Thema schon einen Schritt weiter. Eine Forschergruppe des Harvard-Professors David Keith will echte Wolken über dem amerikanischen Kontinent mit Hilfe von Aerosolen in Kürze erstmals manipulieren. Der Ansatz ist hier genau umgekehrt: Mit Schwebeteilchen soll eine Art Sonnenschirm in der Atmosphäre aufgespannt werden. Mit ihm soll die Erwärmung der Erdoberfläche durch Sonnenlicht reduziert werden. Über den Zweck dieses Experimentes darf allerdings spekuliert werden. Denn es geht eigentlich nicht über die Untersuchungs-Möglichkeiten hinaus, die auch in Wolkenkammern bestehen. Im Klartext: Um mit dem Experiment wissenschaftlich neue, relevante Ergebnisse erzielen zu können, sind sie zu kleinskalig, das jedenfalls meint Andreas Oschlies, der sich als theoretischer Physiker mit seiner Forschungsgruppe bei GEOMAR mit biogeochemischen Modellierungen befasst.
 
O-Ton Prof. Dr. Andreas Oschlies, biogeochemischer Klimamodellierer, GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanographie Kiel und Koordinator des DFG-Projektes Bewertung von Climate Engineering
 
Der deutsche Forschungs-Mainstream insgesamt ist jedenfalls Stand heute eher konservativ, was solche experimentellen Eingriffe in die Atmosphäre betrifft. Für Oschlies, der auch das DFG-Schwerpunktprogramm Climate Engineering koordiniert, ist klar:
 
O-Ton Prof. Dr. Andreas Oschlies, biogeochemischer Klimamodellierer, GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanographie Kiel und Koordinator des DFG-Projektes Bewertung von Climate Engineering
 
Und Oschlies sieht den Aufbau eines Aerosol-Sonnenschirms um die Erde sogar noch kritischer. Für ihn taugt er nicht einmal als Worst-Case-Szenario.
 
O-Ton Prof. Dr. Andreas Oschlies, biogeochemischer Klimamodellierer, GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanographie Kiel und Koordinator des DFG-Projektes Bewertung von Climate Engineering
 
 
Erstsendung: April 2018
© 2018 mce mediacomeurope GmbH
© Vorschaubild: NASA

 
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