Phoenix aus der Asche

Phoenix aus der Asche

Like This Video 0 Susanne
Added by 15. August 2017


 

Die evolutionäre Entwicklung des Vogelfluges in der Zeit der Dinosaurier

 

Das große Sauriersterben vor 65 Millionen Jahren hat eine Gruppe der Dinosaurier überlebt: die Urvögel aus der Kreidezeit. Die Reportage berichtet darüber, wie sich bei den Theropoden über Jahrmillionen Federn und Flugfähigkeit erst allmählich heraus gebildet haben. In mehreren Statements geben Paläontologen Einblicke in den Stand der heutigen Forschung und erläutern auch, dass die ausgestorbenen Flugsaurier nicht zu den Theropoden gehören. Schließlich geht es auch um das Für und Wider bioinformatischer Methoden für die Phylogenie, mit der Paläontologen detaillierte Stammbäume der Saurier anhand von Merkmalen algorithmisch zu erfassen versuchen.

 
Sprechertext der Sendung:
 
Die bunte Vielfalt unserer Vogelwelt. An Orten wie dem Münchner Tiergarten kann man etliche der zehntausend Arten bewundern, die die Natur bis heute hervor gebracht hat. Ihre Entwicklung reicht weit zurück in der Erdgeschichte!

     O-Ton Prof. Dr. Dino Frey, Paläontologe und Leiter Geowissenschaften Naturkundemuseum Karlsruhe

Und innerhalb der Dinosaurier sind es die Raubsaurier, die als legitime Vorfahren aller heutigen Vögel. Der Paläontologe sagt sehr dezidiert:

     O-Ton Prof. Dr. Dino Frey, Paläontologe und Leiter Geowissenschaften Naturkundemuseum Karlsruhe

Nur in der Rückschau mutet die Entstehung des Vogelfluges aus bepelzten Sauriern zielgerichtet an. Denn die Evolution hat keinen festen Plan, sie probiert und testet. Umweltbedingungen und Lebensweisen stehen in permanentem Wechselspiel und verändern sich dabei über die Zeit.
Natürlich gibt es gute Gründe, warum die Tierwelt auch in die Höhe strebte. Oben konnte man selbst den schnellsten Raubtieren am Boden entkommen und fand Zugang zu neuen Futterquellen, die sich außerhalb der Reichweite selbst der größten Konkurrenten befanden. Doch der Weg hier her war evolutionstechnisch alles andere als einfach.

     O-Ton Dr. Stephen Brusatte, Paläontologe, University of Edinburgh (Übersetzung)

Die Fähigkeit zu fliegen ist nicht plötzlich entstanden. Sie hat sich sehr langsam heraus gebildet, über mehrere zehn Millionen Jahre der   Evolution – in der eine bestimmte Gruppe der Dinosaurier immer vogelähnlicher wurde. Zuerst einmal das: Sie mussten kleiner werden. Du kannst nicht der große Boss sein und dann auch noch herum fliegen, … der Knochenbau muss möglichst leicht sein, … die Lungen müssen extrem effizient arbeiten, damit sie möglichst viel Sauerstoff aus der Luft ziehen können. Fliegen ist metabolisch betrachtet wirklich sehr teuer. Natürlich sind auch Flügel erforderlich, aber dann brauchen die Tiere ebenso ein großes Gehirn, mit dem sie diese komplexe Fähigkeit wirklich steuern können.

Der gefiederte Schwingenflug unserer Vögel war jedoch nicht die erste funktionsfähige Flugmethode auf unserem Planeten. Die frühesten Flugwesen bevölkerten den Himmel schon rund fünfzig Millionen Jahre vor den gefiederten Sauriern: Wir sind in der Welt der Flugsaurier, die der Paläontologe „Pterosaurier“ nennt. Die Flügelhaut solcher Segler spannte sich zwischen Armen und Beinen auf. Die unterschiedlichen, durch die Lüfte gleitenden Segelflieger waren ausgesprochen erfolgreich: 140 Millionen Jahre haben sie sich über die Erde ausgebreitet. Doch wie sie evolutionär entstanden sind, darum rankt sich ein großes Geheimnis. Dino Frey gab mir eine mögliche Erklärung – und machte gleichzeitig wenig Hoffnung, dass wir die Frage jemals werden mit einem Fundstück beweisen können:

     O-Ton Prof. Dr. Dino Frey, Paläontologe und Leiter Geowissenschaften Naturkundemuseum Karlsruhe

Auch warum die Flugsaurier ausstarben, wissen wir nicht mit Bestimmtheit. Doch Frey hat sich darüber seine Gedanken gemacht. Folgende Erklärung hat er dafür parat.

     O-Ton Prof. Dr. Dino Frey, Paläontologe und Leiter Geowissenschaften Naturkundemuseum Karlsruhe

Zurück zu den Vorfahren unserer Vögel, die zwar etwa zur gleichen Zeit entstanden, aber länger brauchten, bis sie anheben konnten. Ihre Herkunft ist alles andere als geheimnisvoll: Sie entwickelten sich aus den Theropoden. Das sind zweibeinige, laufende Raubsaurier, die als spezielle Gruppe zu den Dinosauriern gehörten. Was, so wollte ich wissen, macht den Saurier zum einem echten Dino?

     O-Ton Prof. Dr. Dino Frey, Paläontologe und Leiter Geowissenschaften Naturkundemuseum Karlsruhe

Die beiden Flugmethoden haben sich bei Dinosauriern wie bei den Pterosauriern etwa zur gleichen Zeit herausgebildet, aber fliegen konnten zuerst nur die Flugsaurier, das Fliegen mit Federflügeln hat noch Millionen Jahre Zeit gebraucht.

     O-Ton Prof. Dr. Dino Frey, Paläontologe und Leiter Geowissenschaften Naturkundemuseum Karlsruhe

Nur weltweit zwölf Fossilien sind vom Urvogel Archaeopteryx bisher gefunden worden. Alle dieser Funde stammen aus der Gegend um das fränkische Solnhofen, und einer davon ist heute eines der Prunkstücke des Paläontologischen Museums in München. Er konnte mit seinem gut erkennbaren Federnkleid schon „fliegen“, das allerdings nur recht schwerfällig. Denn um vom Boden abzuheben, braucht es kräftigen Flügelschlag mit einer hoch entwickelten, und recht speziellen Anatomie, die bei Archaeopteryx noch nicht besonders ausgeprägt war. Der frühe Vogel gibt bis heute Anlass zu kontrovers diskutierten Fragen: Wo war das Hauptlebensfeld des Archaeopteryx? Lebte er schon vorzugsweise in den Bäumen und glitt am Beginn des Fliegens mit seinem Federkleid vor allem von oben nach unten? Oder war er vor allem ein Bodenbewohner und hüpfte mehr als dass er flog? Sicher ist nur das: Mit seinen langen dünnen Beinen, die seine Vorfahren, die Raubsaurier, entwickelt hatten, konnte er sehr schnell laufen.

Und noch eine spannende Frage, die bisher auf eine endgültige Antwort wartet: Warum haben gerade diese fliegenden Dinos das große Sauriersterben vor 66 Millionen Jahren überlebt?

     O-Ton Prof. Dr. Dino Frey, Paläontologe und Leiter Geowissenschaften Naturkundemuseum Karlsruhe

Den Paläontologen der frühen Vögel macht vor allem die schlechte Datengrundlage zu schaffen. Es gibt sowohl räumlich wie zeitlich nur punktuelle Fundstellen. So klaffen vom Aufkommen der ersten Vogelsaurier bis zum großen Sauriersterben gewaltige Zeiträume, in denen weltweit nur sehr wenige Funde flugbegabter Saurier gefunden wurden. Für die Auswertung der Funde kann der Saurierforscher auf ein Arsenal digitaler Techniken zugreifen. Computer-Tomografen können nicht nur Fahrzeuge dreidimensional scannen, sondern auch fossile Saurier – hier sehen wir den Schädel eines T-Rex. Digitale Bildanalyse füllt Skelette virtuell mit Weichteilen und deckt so neue anatomische Feinheiten auf. In Computermodellen können Bioinformatiker inzwischen die Motorik von Sauriern nachbilden. Und mit Umweltmodellen simulieren sie sogar schon ihr Fressverhalten. Die digitale Welt hat die Urzeit längst eingeholt.

Für die Rekonstruktion von morphologischen Verwandtschaftsbeziehungen wird heute die Methode der phylogenetischen Systematik genutzt. Dabei kommt oft komplexe Software zum Einsatz, die die Verteilung einer großen Anzahl von Merkmalen bei zahlreichen Arten analysiert. Daraus resultieren hoch detaillierte Stammbäume, die je nach den verwendeten Daten zu unterschiedlichen Aussagen über Verwandtschaftsverhältnisse führen können.Dino Frey steht dieser bioinformatisch getriebenen Phylogenie der Saurierwelt eher skeptisch gegenüber. Für ihn sagt die bloße Verwandtschaft von Organismen nichts wirklich Verbindliches über deren Entwicklung aus. Denn nicht nur die Morphologie, sondern auch die Funktionalität spielt bei der Evolution eine wichtige Rolle. Erst mit beiden entsteht ein ganzheitliches Modell der Entwicklung. Dieses ist aber so komplex, dass es in der bioinformatisch geprägten Phylogenie nicht umfänglich erfassbar ist. Dem Diktat eines vom Programm gesteuerten Entwicklungsbaums will sich Frey deshalb nicht unterwerfen. Der sei, so sagt er, kein richtiger Stammbaum – und gibt dafür auch ein konkretes Beispiel.

     O-Ton Prof. Dr. Dino Frey, Paläontologe und Leiter Geowissenschaften Naturkundemuseum Karlsruhe

Andere Paläontologen sind jedoch der Auffassung, dass die Methoden der phylogenetischen Systematik für die Rekonstruktion von Verwandtschaftsverhältnissen ausgestorbener Tiere durchaus hilfreich ist – bei allen vorhandenen Unzulänglichkeiten aufgrund des oft nur unvollständigen Fossilberichtes. Die phylogenetische Systematik war schon vor der Einführung leistungsfähiger Computer ein wichtiges Werkzeug der Paläontologen. Wichtig ist in der bioinformatischen Umsetzung: Die Programme müssen mit umfangreichem Expertenwissen gefüttert werden. Das aber sei nicht immer der Fall, meint Gerald Mayr, der als Paläoornithologe phylogenetisch forscht.

     O-Ton Dr. Gerald Mayr, Paläoornithologe und Kurator Senckenberg-Museum

Es gibt unterschiedliche Blickrichtungen auf die nur fossil erhaltenen Saurier, die zu divergierenden Interpretationen über ihre Evolution führen – ein Disput, der derzeit nicht auflösbar scheint. Einig sind sich alle Dinoforscher aber wieder darin, dass es bei den Sauriern noch vieles zu entdecken gibt.

     O-Ton Dr. Stephen Brusatte, Paläontologe, University of Edinburgh (Übersetzung)

Dinosaurier hat es rund 150 Millionen Jahre gegeben. Sie haben in allen Lebensräumen gelebt und es gab viele unterschiedliche Arten. Sie haben uns rund um die Welt Knochen, Zähne, Fußspuren und vieles mehr hinterlassen. Wir finden heute mehr neue Saurier als jemands zuvor … Es geht darum, welche Fossilien noch erhalten und für uns in Wüsten oder Bergen auf der Oberfläche zu erreichen sind. Viele sind für uns verloren, weil sie unter Straßen oder Gebäuden im Boden liegen. Das bedeutet: Der Fossilienbericht kann nicht vollständig sein, es bedeutet auch, dass es Lücken gibt – und Geheimnisse, die wir nur schwer lösen können. Wir sind fast so etwas wie Detektive in einer Verbrechensaufklärung. Wir finden Indizien – natürlich wollen wir immer mehr Hinweise, aber wir müssen mit dem, was wir haben, zurecht kommen. Das macht es natürlich auch zu einem interessanten Spiel. Wir müssen da raus gehen und Fossilien suchen – und es gibt für niemanden von uns die geheime Formel, wie wir sie finden können. Wir müssen deshalb meist sehr viel Zeit aufwenden – und wir wissen am Ende nie, was dabei herauskommt, was uns die Fossilien dann erzählen.
 
 
Erstsendung: August 2017
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