Orbitale Müllhalde

Orbitale Müllhalde

Like This Video 0 Susanne
Added by 28. Juli 2017


 

Viele Ideen, aber bis heute keine Fakten zur Entsorgung der Raumfahrt-Altlasten in Umlaufbahnen

 

Siebzig Jahre Raumfahrt haben in der Umlaufbahn ihre Spuren hinterlassen. Der Weltraum um die Erde ist inzwischen zu einem gewaltigen Schrottplatz verkommen. Ausrangierte Satelliten trudeln unkontrollierbar um die Erde und zahllose Trümmerteile von Explosionen und Kollisionen provozieren eine Kettenreaktion. Seit Jahrzehnten wird der Weltraummüll in einem Katalog des amerikanischen Militärs erfasst, der heute 22.000 Objekte – bei weitem nicht alle – erfasst. Doch die Beseitigung der Trümmer und Fragmente ist derzeit nicht möglich. Inzwischen hat sich so viel Schrott angesammelt, dass der orbitale Müll zu einer echten Gefahr für die funktionsfähigen Satelliten geworden ist. Die Weltraumbehörden schlagen immer lauter Alarm, eine Lösung für die Schrottentsorgung haben sie indessen bis heute nicht.


 
Sprechertext der Sendung:
 
Seit dem Beginn der Weltraumfahrt mit dem ersten Sputnik hat es rund fünftausend Raketenstarts gegeben. Von den zahlreichen Satelliten, die damit in Umlaufbahn kamen, sind heute jedoch nur noch 200 funktionsfähig in Betrieb. Weit mehr als neunzig Prozent der Objekte in Umlaufbahn schwirrt heute weitgehend unkontrolliert durch den erdnahen Raum – als überflüssiger Weltraumschrott. Manche der Satelliten sind explodiert, andere zusammengestoßen. Experten schätzen, dass es bis heute bereits mehr als 250 solcher Kollisionen gegeben hat. Bei jeder entstehen Trümmerwolken, die sich im Lauf der Zeit immer mehr ausbreiten.

Die Gesamtzahl solcher unkontrolliert um die Erde torkelnder Trümmerteile ist unbekannt, erfasst sind davon heute 22.000 Objekte. Experten schätzen aber anhand von Simulationen, dass die Erde etwa 150 Millionen Trabanten hat, die größer als einen Millimeter sind. Immerhin eine dreiviertel Million davon ist größer als einen Zentimeter. Trotz der Tatsache, dass es nur winzige Objekte sind, können selbst solche Kleinteile erheblichen Schaden anrichten. Denn sie können mit Relativgeschwindigkeiten von maximal 56.000 Stundenkilometern aufeinander prallen.

O-Ton Dr. Holger Krag, Leiter des ESA Space Debris Office (Übersetzung)
Selbst kleine Objekte können großen Schaden anrichten. Am 29. August 2016 hat das Operationsteam von Sentinel 1A eine plötzliche Bahnänderung und gleichzeitig reduzierte Energieproduktion in den Solarpanelen festgestellt. Das ließ sofort einen hochenergetischen Einschlag vermuten. Daraufhin haben wir eine Onboard-Kamera wieder eingeschaltet. Die hatten wir eigentlich nur zwei Jahre vorher gebraucht, um das Ausfahren der Panele zu überwachen. Eine lesson learnt: Solche Kameras sollten auf allen künftigen Missionen vorhanden sein. Wir konnten damit den Schaden genau lokalisieren. Der Einschlag hat ein Loch von 40 Zentimetern Durchmesser gerissen. Nach unseren Berechnungen war das einschlagende Schrottteilchen nicht größer als einen Zentimeter im Durchmesser. Sein Gewicht betrug nur 0,2 Gramm. Beim Einschlag wurden übrigens 7 neue Teilchen produziert, die wir jetzt mit unserem Überwachungssystem laufend verfolgen.

Aber auch die Zahl richtig großer Trümmerteile mit Ausmaßen von mehr als einem Meter ist beachtlich: Inzwischen sind rund 10.000 solcher Objekte erfasst.

Dieser gesamte Schrott aller Größenklassen ist derzeit nicht gleichmäßig verteilt. Er häuft sich in zwei Zonen: im sogenannten „low earth orbit“ und hier vor allem in den Polregionen, wo sich der Großteil der niedrig fliegenden Satellitenbahnen kreuzt. Dann auch noch in der geostationären Bahn in einer Höhe von 36.000 Kilometern.

Von den Kontrollzentren aus lassen sich zwar funktionsfähige Satelliten mit Manövern vor Kollisionen mit orbitalem Schrott schützen, aber eben nur so lange, wie sie selbst noch Treibstoff haben – und auch nur dann, wenn das bedrohliche Objekt schon katalogisiert ist.

Weltraumexperten schlagen seit den siebziger Jahren Alarm. Schon damals hat Don Kessler bei der NASA mit umfangreichen Simulationen berechnet, dass sich allein der heute schon existierende Schrott im Lauf der Zeit zu einer nicht mehr beherrschbaren, zu einer echten Bedrohung entwickeln wird. Selbst wenn wir also ab sofort überhaupt keine neuen Objekte mehr starten würden, so sagt der heutige Ruheständler auch jetzt noch, hätte der bereits vorhandene Schrott – zumindest statistisch gesehen – unabsehbare Folgen für unsere Telekommunikation, fürs Routing und auch für die bemannte Raumfahrt.

Lange verhallten solch düstere Szenarien ungehört in den Weiten des Universums. Doch dann gab es den ersten gewaltigen Orbital-Crash, den wir mitverfolgen konnten. 2009 kollidierten zwei große Satelliten in niedriger Umlaufbahn frontal: ein damals noch funktionsfähiger Iridium-Satellit mit einem ausrangierten Satelliten der Baureihe Kosmos. Simulationen zeigen eindrucksvoll und auch exemplarisch, wie sich die Trümmer seither in einer immer mächtigeren Schrottwolke über den Himmel ausbreiten – Grund dafür: die minimalen Bahnschwankungen der Erde.

Für die NASA war dieser Zusammenstoß der Anlass, sich erstmals verstärkt um das Thema zu kümmern. Mit der US Air Force fand sie schnell einen wichtigen Verbündeten. Denn die überwacht den nahen Weltraum schon seit den Zeiten des Kalten Krieges vor allem mittels Radar. Inzwischen profitiert auch die zivile Raumfahrt von dieser militärischen Operation. Bis heute ist der von der Air Force veröffentlichte Katalog aller nicht klassifizierten Objekte die umfassendste Zusammenstellung von Weltraumschrott in der westlichen Welt. Das Verteidigungsministerium der Weltmacht ist schon aus Eigeninteresse am Schrottmanagement der zivilen Raumfahrt interessiert. Denn immerhin geht’s dabei auch um den Schutz geheimer Militärobjekte im orbitalen Raum. So optimiert das Militär bereitwillig aus eigner Tasche die Überwachung des Himmels. Derzeit lässt die DARPA, die Innovationsagentur des Verteidiungsministeriums, für die Weltraumüberwachung ein ganz neues Radarsystem aufbauen. Der neue „Space Fence“ soll 2019 seinen Betrieb aufnehmen. Diese Radar-Anlage der zweiten Generation wird, so preist es jedenfalls der Hersteller in seinem Promo-Video an, den Militärs eine ganz neue Dimension der Überwachung der Müllberge in Umlaufbahn eröffnen.

Heute unterhalten alle großen Raumfahrtagenturen Büros für solche Altlasten. Die Europäische Raumfahrtorganisation ESA befasst sich im Darmstädter Kontrollzentrum ESOC bereits seit den achtziger Jahren mit „Space Debris“, wie der Fachterminus heute global heißt. Auch bei den Vereinten Nationen gibt es seit einiger Zeit eine Arbeitsgruppe mit der Thematik. Viele technisch machbare und kreative Ideen haben Raumfahrtexperten inzwischen konzipiert: wie man des Mülls im All habhaft werden könnte – bis hin zu aufpoppenden Segeln mit der Gefahrgut-Entsorgung dank Sonnenwind. Doch die steigende Besorgnis der Weltraumexperten hat bisher zu keinen konkreten Maßnahmen geführt.

Denn die lassen sich nur international in den Griff kriegen. Es geht dabei natürlich ums Geld, aber auch viele rechtliche Fragen sind dabei noch völlig offen. Im April 2017 fand in Darmstadt die jüngste, schon die siebte internationale Fachkonferenz zum Thema der orbitalen Müllentsorgung statt. Selbst der Grande der europäischen Raumfahrt-Szene wurde nicht müde, auf das Gefahrenpotenzial hinzuweisen und einen Appell in den Saal zu schicken.

O-Ton Dr. Jan Wörner, Generaldirektor Europäische Raumfahrtbehörde ESA (Übersetzung)
Die Gefahren von Weltraummüll sind nicht nur Science Fiction wie im Film Gravity, es sind Fakten. Wir versuchen natürlich, die Vorgänge in der Raumfahrt weitgehend zu kontrollieren, aber das gelingt nicht immer. Bei einem missglückten Raketenstart fielen zum Beispiel einige der Trümmerteile zurück auf die Erde. Und ich kann Ihnen sagen, der chinesische Bauer, bei dem dieser Schrott im Haus einschlug, war alles andere als erfreut darüber. Was wir brauchen, ist eine permanente Überwachung mit Kollisionsverhinderung und auch die Entfernung von vorhandenem Weltraumschrott – und das alles müssen wir in einer globalen Kooperation angehen. Es dürfen keine nationalen Sicherheitsbedenken dagegen stehen. Und wir alle sollten diese klare Botschaft in die Welt senden, dass wir dieser globalen Bedrohung nur in einer gemeinsamen Initiative begegnen können.

Der Zulauf zur Konferenz, die vor 24 Jahren erstmals stattfand, war 2017 enorm, wie die Veranstalter gern verkünden.

O-Ton Dr. Holger Krag, Leiter des ESA Space Debris Office (Übersetzung)
Wir haben dieses Mal ein Allzeit-Hoch für unsere Konferenz erhalten: 315 eingereichte Abstracts und fast fünfhundert registrierte Teilnehmer. Weltraumschrott steht inzwischen überall auf der Agenda.

Viel geballtes Knowhow traf sich in Darmstadt. Doch die Szene hat bisher wenig Faktisches zu Wege gebracht. Noch fehlt jeder gesicherte Plan, wie die Menschheit die schon umher schwirrenden Altlasten bald reduzieren könnte. Die Entsorgung des Mülls ist nicht preiswert.

Derweil nimmt die Startrate neuer Objekte sogar erheblich zu. Denn die Kleinsatelliten sind im Kommen. Achtzig bis neunzig neue Objekte im Jahr sind die Norm. Immerhin ist festzuhalten, dass zumindest die großen Weltraumnationen jetzt bessere Entsorgung planen. Die noch funktionsfähigen Satelliten in niedrigen Umlaufbahnen werden beim nahenden Betriebsende gezielt zum kontrollierten Verglühen in der Atmosphäre gebracht – und die geostationären Satelliten noch schnell aus dem Orbit hinauf geschossen. Doch der Schrott der Vergangenheit breitet sich immer mehr aus – und bis heute zeigen nur solch schöne Animationen, wie wir Herr solcher Altlasten werden könnten.

Erstsendung: Juli 2017
© 2017 mce mediacomeurope GmbH
© Vorschaubild: ESA

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