Reinheitsgebot

Reinheitsgebot

Like This Video 1 Susanne
Added by 17. Juli 2017

Die wachsende Zahl von perfluorierten Chemikalien belastet zunehmend das Trinkwasser

 

Die Aufbereitung von Abwasser in Kläranlagen wird durch die steigende Zahl von Chemikalien immer schwieriger. Denn bei den biologischen oder chemischen Prozessen entstehen auch neue Spurenstoffe, die dann in den natürlichen Wasserkreislauf eingeleitet werden – und so auch ins Trinkwasser geraten. HYPERRAUM.TV berichtet im Schwerpunkt über per- und polyfluorierte Chemikalien PFC, die sich dank ihrer wasser- und schmutzabweisenden Fähigkeiten von Outdoor-Funktionskleidung über Wetterschutzfarben und Implantate bis zu Feuerlösch-Spezialschäumen nicht nur in Produkten rasant verbreitet haben, sondern längst auch in der Natur allgegenwärtig geworden sind. Bisher gibt es keine flächendeckende und systematische Erhebung in Deutschland, wie stark das Trinkwasser mit diesen weitgehend nicht regulierten Chemikalien schon kontaminiert ist.


 
Sprechertext der Sendung:
 
Wir trinken ein Glas Wasser – und sind sicher, dass dies unschädlich ist. Das heißt allerdings nur: H2O aus der Leitung entspricht den Anforderungen bestimmter Paragraphen der Trinkwasserverordnung. Eine ganz andere Sache ist, was sich darin an Spurenstoffen sonst noch alles befindet. Der analytische Chemiker kann heute im Wasser sehr viele Bestandteile nachweisen, selbst bei geringsten Mengen – aber normalerweise nur dann, wenn er genau weiß, wonach er sucht. Einzelne Chemikalien lassen sich also gut entdecken. Bis heute ist im Labor der umgekehrte Weg aber nur schwer möglich: ohne eine vorgegebene Stoffliste umfassend festzustellen, was alles in einem Glas Wasser so drin ist.

Das große Bild: Unser Trinkwasser kommt zu etwa zwei Dritteln aus dem Grundwasser, ein Drittel aus Flüssen und Oberflächengewässern. Dieses sogenannte Rohwasser wird meist zuerst desinfiziert, ehe es dann als Trinkwasser verteilt wird. In Deutschland nutzt heute jeder Bewohner gut 100 Liter Wasser am Tag für ganz unterschiedliche Zwecke.

Einblendung:
ca. 30% Dusche, Badewanne
ca. 30 % Toilette
ca. 26% Trinkwasser und Kochen
ca. 8% Waschmaschine, ca. 6 % Putzen

Ortswechsel nach Ruhleben – das Beispiel einer kommunalen Kläranlage. Hier wird das gebrauchte Wasser aus Haushalten und Gewerbebetrieben aufbereitet. Das Abwasser wird erst grob gereinigt. Dann werden Fette und Öle abgeschöpft. Bakterien zersetzen anschließend einen Großteil der schädlichen Stoffe – zuletzt mit der Zuführung von Sauerstoff. Im Nachklärbecken schließlich trennt sich der Klärschlamm vom gereinigten Wasser, das dann dem natürlichen Wasserkreislauf wieder zugeführt wird. Während die hygienische Reinigung von pathogenen Mikroorganismen in Kläranlagen recht gut im Griff ist, bildet die Belastung des Abwassers durch die Vielzahl immer neuer Synthese-Chemikalien und Pharmaprodukte ein wachsendes Problem.

O-Ton Dr. Urs Berger, Chemie-Analytiker, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig

Es ist ein umfängliches Forschungsgebiet der Wasseranalytiker, in welchem Maß sich die steigende Zahl neu hergestellter Chemikalien im Abwasser in industriellen oder auch in kommunalen Kläranlagen überhaupt entfernen lässt. Schlimmer noch: Manche dieser Stoffe können sich bei der biologischen oder chemischen Reinigung sogar in geringen Mengen verändern. Bei den biologischen Klärprozessen entstehen zahlreiche Metaboliten, bei der chemischen Behandlung als Abfall vielfach unbekannte Transformationsprodukte. Was alles im Detail, ist auch wegen der rasch steigenden Zahl neuer Materialien und Produkte, unbekannt.

Am Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe ist diese systematische Forschung ein Schwerpunkt. Dort arbeiten analytische Chemiker an einem sogenannten Non-Target-Verfahren. Es geht darum, bislang unbekannte oder unbeachtete Stoffe im Wasser erst einmal ausfindig zu machen. Eine Sisyphos-Arbeit der Spurensucher.

O-Ton Dr. Oliver Happel, Chemischer Analytiker, Technologiezentrum Wasser Karlsruhe

Selbst bei den chemischen Wirkungsmechanismen der Phosphonate sind wir vielfach noch im Bereich anwendungsorientierter Grundlagenforschung, wenn es um deren Verbleib in der Umwelt oder die Entstehung von Metaboliten und Transformationsprodukten geht. Als Ersatzprodukt für die inzwischen weitgehend regulierten Phosphate dienen solche Tenside in Waschmitteln und Spülmaschinen-Reinigern vor allem der Enthärtung des Wassers.

Die Waschmaschine als Umweltverschmutzer: Nicht nur Rückstände der Reinigungsmittel kontaminieren von hier aus die aquatische Umwelt. Auch das geringe, aber nachweisbare Auswaschen von Chemikalien aus Textilien verursacht Belastungen. Im Blickpunkt hier: wasser- und schmutzabweisende Stoffe. Wir sind im breiten Feld der poly- und perfluorierten Chemikalien angelangt. Das Umweltbundesamt zählt dafür inzwischen mehr als 800 unterschiedliche Stoffe. Ihr charakteristisches Merkmal: die an Kohlenstoffketten gebundenen Wasserstoffatome sind durch Fluor ersetzt. Diese Vielzahl industriell hergestellter PFC-Arten transformiert in der Umwelt im Zeitraum von Tagen bis Monaten zu nicht weiter abbaubaren PFC-Endprodukten. Deren Anteil in der Natur steigt also stetig an.

Seit Jahrzehnten drängten immer mehr dieser PFC-Spezialchemikalien in den Markt. Zwar teuer in der Herstellung, aber dank der Produktvorteile mit rasantem Anstieg in der Gunst der Abnehmer. Von der Teflonpfanne zur Outdoor-Funktionskleidung, von Wetterschutzfarben über medizinische Implantate bis zu Spezial-Feuerlöschschäumen. Die in der Natur nicht abbaubaren PFC machen‘s möglich – und rückten dabei fast ungehindert in die Umwelt ein.

PFC gibt es in verschiedenen Zustandsformen. Wasserlösliche PFC passieren Kläranlagen heute weitgehend ungehindert. Von hier aus kommen sie in die Flüsse und verteilen sich global – nachweisbar bis in die Weltmeere. Die nicht-wasserlöslichen PFC dagegen bleiben zuerst im Klärschlamm zurück, können dann aber als Dünger in die Pflanzen- und Tierwelt gelangen. Denn Klärschlamm wird traditionell immer noch in der Landwirtschaft genutzt. PFC kommt so in die Pflanzen- und Tierwelt, also auch in unsere Nahrung. Die flüchtigen PFC schließlich verteilen sich bei der Anwendung erst einmal in der Atmosphäre. Über mehr oder weniger weite Strecken durch die Luft transportiert, regnen sie irgendwann ab und kommen so in Oberflächengewässer oder sickern ins Grundwasser.

Untersuchungen zeigen: PFC hinterlassen ihre Spuren inzwischen auf dem ganzen Planeten. Die Chemikalienklasse ist längst nicht nur im Markt, sondern auch in der Natur allgegenwärtig – nachgewiesen von der Luft über die Tiefsee bis ins Eis der Antarktis, ja sogar in Nahrungsmitteln sowie in der Leber von Tieren und dem Blut von Menschen. Aber wie die zahlreichen und verschiedenartigen PFC auf Organismen wirken, ist heute noch Gegenstand der Forschung. Bisher konnte die Wissenschaft keine eindeutigen Beweise für schädliche Grenzwerte vorlegen. So bleibt auch die Politik bei der PFC-Regulierung weitgehend untätig. Es gibt heute zwar Leitwerte des Umweltbundesamtes, bindend sind diese jedoch nicht. Einzige Ausnahme: PFOS, das EU-weit inzwischen reguliert ist. Einige Hersteller haben allerdings aufgrund der neuesten Erkenntnisse bereits angekündigt, in der Produktion ihrer Ware künftig auf PFC-Einsatz zu verzichten – so etwa der Hersteller der Marke Gore-Tex für seine Outdoor-Produkte.

Die anspruchsvolle Messtechnik für die Bestimmung des PFC-Gehaltes in Wasserproben hat sich in den letzten Jahren weit verbreitet. In Deutschland beispielsweise sind solche Chromatographen praktisch in allen größeren hydrologischen und wasseranalytischen Laboren zu finden. Für die Messung der perfluorierten Verbindungen werden in diesem Flüssigkeitschromatographen Wasserproben von 250 Milli-Litern massenspektrometrisch analysiert. Die unterschiedlichen Chemikalien zeigen sich selbst bei geringfügigen Spuren in deutlichen Peaks. Hier ein Beispiel für eine Detail-Messung der Perfluoroctansäure PFOA – und ein Messergebnis der inzwischen regulierten Perfluoroctansulfonsäure PFOS. Auch ohne harte Regulierung prüfen inzwischen zumindest die größten Wasserversorger regelmäßig in einzelnen Stichproben, wie es im Grund- und Trinkwasser in Sachen der Belastung mit perfluorierten Chemikalien tatsächlich steht. Doch was in Deutschland weiterhin fehlt, ist eine systematische Erhebung der PFC-Belastung. Der Spezialist sagt:

O-Ton Dr. Urs Berger, Chemie-Analytiker, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig

In Deutschland ist es im Minimierungsgebot behördlich festgehalten: Trinkwasser soll möglichst natürlich bleiben. Doch je mehr neue Chemikalien über unterschiedliche Wege vom Haushalt über die Landwirtschaft bis zur Industrie in das komplexe Ökosystem geraten, desto schwieriger wird es in Zukunft werden, dieses Reinheitsgebot des Wassers aufrecht zu erhalten.

 

Erstsendung: Juli 2017
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