Gasatome – im Gefrierschrank erstarrt

Gasatome – im Gefrierschrank erstarrt

Like This Video 0 Susanne
Added by 9. April 2017


 

Experimente mit atomaren Vielteilchensystemen im Quantensimulator

 

Werden Atome mit Lasern bis nahe dem absoluten Nullpunkt gekühlt, erstarren sie in Bewegungslosigkeit. So lassen sie sich in kristalline Gitter einbetten, in denen sich dann durch gezielte Manipulationen unterschiedliche Quantenphänomene untersuchen lassen. In den Vielteilchen-Quantensimulatoren können heute schon Gitterstrukturen aus tausend und mehr Atomen aufgebaut werden. Die Quantenphysik im Spiel zwischen Ordnung und Ordnung nähert sich der Untersuchung makroskopisch beobachtbarer Effekte.


 
Sprechertext der Sendung:
 
Immanuel Bloch arbeitet am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. Er will die Quantenphänomene in Festkörpern besser verstehen. Dazu nutzt er einen hochspezialisierten Quantensimulator: Der Begriff klingt zuerst einmal reichlich „abgehoben“.

Simulatoren kennen wir aus vielen Bereichen: Systeme, die bestimmte Ausschnitte der Welt nachbilden – und mit denen sich Phänomene unter kontrollierten Bedingungen austesten lassen. Im Fahrsimulator bei Daimler lässt sich das System Straße, Automobil und menschliches Fahrverhalten studieren. Will der Ingenieur die aerodynamische Wirkung auf ein Automobil finden, dann geht er in den Windkanal. Der Forscher nutzt ihn auch, wenn er das theoretisch noch nicht gänzlich durchdrungene physikalische Phänomen von Strömungen experimentell untersuchen will.

Und das ist die jüngsten Version eines Simulators: der Quantensimulator. Immanuel Bloch ist einer, der damit neuen Erkenntnissen in der Quantenwelt auf der Spur ist.

Er befasst sich mit den sogenannten Vielteilchensystemen. Sie bestehen aus hunderten, ja tausenden von Einzelatomen eines Gases.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

Mit einem fein austarierten System aus Lasern und Spiegeln wird Laserlicht zu sogenannten Stehwellen überlagert. Die stabil gehaltenen Kreuzungspunkte dieser Wellen wirken als Falle für Atome.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

Um in das Gitter einzelne Atome einbetten zu können, muss der Experimentator die Teilchen zuerst einmal „ruhig stellen“, dem Gas also Wärme entziehen. Denn dessen Temperatur ist physikalisch nichts anderes als ein Maß für die Bewegung der darin enthaltenen Atome. Wie sich in einem Gas einzelne Teilchen genau bewegen, kann der theoretische Physiker bis heute nicht exakt berechnen. Er kann das Verhalten der Teilchen anhand des Drucks, des Volumens und ihrer Anzahl heute nur statistisch berechnen – mit der von Ludwig Boltzmann vor mehr als hundert Jahren begründeten Thermodynamik.

Bloch kühlt die Gasteilchen hier mit modernster Vakuumtechnologie und spezieller Methoden auf Tiefsttemperatur. Sie liegt dann nur noch wenige Milliardstel Grad über den absolutem Nullpunkt – eine Temperatur also, die tiefer ist als die des Vakuums im intergalaktischen Weltraum. So „Erstarren“ die ultrakalten Atome in Bewegungslosigkeit und lassen sich nun in den Quantensimulator mit seiner fest vorgegebenen Gitterstruktur einbetten.

Bloch experimentiert vor allem mit gasförmigen Alkalimetallen der ersten Hauptgruppe: Lithium, Natrium, Kalium, Rubidium.

Hier sehen wir eine Kette von Atomen, die in ein solches eindimensionales Raster eingebracht wurden. Bei diesen extrem tiefen Temperaturen entsteht eine Art „Superatom“, dessen Teilchen in diesem Zustand alle dieselben quantenphysikalischen Eigenschaften annehmen. Der Physiker spricht von einem Bose-Einstein-Kondensat. Dieses „Superatom“ wird für die Versuche in das optische Gitter eingeladen, wo es sich dann – abhängig von den gezielten Manipulationen der Quantenphysiker – wieder in andere Materieformen umwandeln kann. Genau diese Umwandlungen sind es, die die Forscher hier auswerten.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

Auch wenn die Theoretiker vieles von dem noch nicht berechnen können: In der Quantenwelt herrschen doch unbekannte Gesetzmäßigkeiten.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

Doch auch im Vielteilchensystem gilt Heisenbergs Unschärfe-Relation: Greift der Beobachter ein, macht also ein Foto, bricht das Quantensystem sofort zusammen.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

Auch hier gilt: Ohne klassischen Rechner würde nicht viel laufen. Der Prozess ist weitgehend automatisiert. Es dauert nur 30 Sekunden, dann ist das Superatom wieder in seine ursprüngliche Position gebracht.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

Mit seinen Post-Docs und Studenten wie Simon Toni Abadal verändert Bloch nun in unterschiedlichen Versuchsreihen ganz gezielt physikalische Parameter: Manipulationen in der Geometrie des Gitters … minimale Temperaturveränderungen … elektrische oder magnetische Eingriffe.

Es ist das große Spiel zwischen Ordnung und Unordnung, das Bloch mit seinen Vielteilchensystemen physikalisch auszuloten versucht.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

Bloch sieht sich selbst klar auf der Seite des Experimentators. Die Versuchsaufbauten sind komplex, umfangreiches Spezialwissen für ihren reibungslosen Betrieb erforderlich. Doch der Austausch mit Theoretikern ist ein wichtiger Stimulus.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

Mit dem Vielteilchensimulator an diesem Max-Planck-Institut rückt die Quantenphysik jetzt also in den Bereich makroskopisch beobachtbarer Phänomene vor: beispielsweise in die Hochtemperatur-Supraleitung.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

Und auch das sei abschließend noch erwähnt: Bei allen Erfolgen bieten solche Quantensimulatoren für junge Forscher noch mächtiges Potenzial.

O-Ton Prof. Dr. Immanuel Bloc, MPI für Quantenoptik

 

 
Erstsendung: April 2017
© 2017 mce mediacomeurope GmbH
© Vorschaubild: Max-Planck-Institut für Quantenoptik

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