Raumschiff „Blauer Planet“

Raumschiff „Blauer Planet“

Like This Video 0 Susanne
Added by 12. Dezember 2016


 

Konzept Anthropozän: Der Mensch als Problemfall im System Erde

 
Der Begriff des Anthropozäns stellt den Menschen ins Zentrum der Erdgeschichte. Die gesellschaftliche wie interdisziplinäre Diskussion dazu hat in letzter Zeit erheblich zugenommen; sie führt uns deutlich vor Augen, dass jeder einzelne Erdbewohner eine Verantwortung für den Planeten übernimmt. In der Schichtenkunde der Geologie wird derzeit sogar darüber debattiert, ein neues Erdzeitalter mit der Bezeichnung Anthropozän in die offizielle Nomenklatur der Stratigraphen aufzunehmen.
 
Sprechertext der Sendung:

Die Erde – ein Raumschiff in den Weiten des Alls. Für manche ist es die bedeutendste Leistung der Raumfahrt: der Menschheit den Blick zu zeigen von weit draußen auf unseren blauen Planeten.

Seine Entwicklung zu erforschen und die Vergangenheit zu klassifizieren, ist eine wichtige Aufgabe der Geologie. Die Bestimmung gelingt mit der Altersdatierung der Schichten von Bohrproben aus Felsen, Meeressedimenten oder sogar der polaren Eisschicht. Damit können Geologen jedes Sediment in ein festes Raster von Erdzeitaltern einordnen.

Manchmal sorgt die Natur dafür, dass wir diese geologische Geschichte unseres Planeten direkt beobachten können. wenn sich zum Beispiel Flüsse wie der Grand Canyon in weitgehend vegetationslosen Gesteinsschichten tief in den Erdmantel bohren. Eine Reise in den Canyon hinunter ist auch eine Reise zurück in die Vergangenheit. Am Grund des Colorado River sehen wir Sedimente, die vor mehr als einer Milliarde Jahre entstanden sind.

Wechsel ins bayerische Alpenvorland: ins herbstliche Gleißental. Es hat sich vor mehr als 10.000 Jahren durch das Schmelzwasser in der Nacheiszeit gebildet – als hier eine Gletscherzunge Stück für Stück zurück gewichen ist. Auch hier blicken wir mit den offen gelegten Gesteinsschichten zurück – in die erdgeschichtlich jüngste Vergangenheit: das sogenannte Holozän.

Es begann vor 11.700 Jahren. Das sagt uns die International Commission on Stratigraphy, die über die geologische Zeitskala wacht. Sie definiert die Messmethoden für die Datierung und legt das Raster der Erdzeitalter fest. Damit erhalten Geologen aller Länder ein definiertes Rüstzeug für ihre Studien.

Das Holozän als jüngste Epoche im Quartär wurde erst 2008 offiziell eingeführt. Erstmals hat die Kommission den Beginn einer neuen Epoche am Nachweis einer klimatischen Veränderung festgemacht: am Ende der jüngsten Eiszeit. Der geologische Einschnitt der nacheiszeitlichen Erderwärmung, die bis heute anhält, lässt sich gut nachweisen. In der chemischen Signatur der Sedimente in Eisbohrkernen ebenso wie in See- und Meeresablagerungen.

Seit einiger Zeit ist unter Geologen eine heftige Diskussion darüber entbrannt, ob es ein weiteres, ein neues Erdzeitalter braucht. Manche unter ihnen wollen das Holozän für beendet erklären und mit dem Anthropozän eine neue Epoche ausrufen. Eine Epoche, die den Menschen mit seinen gravierenden Veränderungen des Systems Erde ins Zentrum der geologischen Betrachtung schiebt.

Die massiven Auswirkungen des menschlichen Eingriffs sind offensichtlich, dennoch ist die Definition eines neuen Erdzeitalters reichlich kompliziert. Die Commission on Stratigraphy hat schon vor einigen Jahren eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um Methoden für die Etablierung eines Anthropozäns vorzuschlagen.
 
O-Ton Prof. Dr. Gert Wörheide
 
Welche Stellschrauben aber definieren den Beginn des menschengemachten Zeitalters? Die Antwort hängt davon ab, welche der vielfältigen Einflüsse man dafür in den Fokus stellt:

Die Bevölkerungsexplosion des biologischen Erfolgsmodells Mensch – mit der Verstädterung und den anwachsenden Müllbergen?

Die industrielle Revolution im 18. Jahrhundert, mit der ganz neue, langlebige Materialien auf diesem Planeten entstanden sind? Stahl, Beton, Aluminium, Kunststoffe, Nanomaterialien?

Die Erderwärmung durch den Menschen mit der ansteigenden CO2-Konzentration und den sich abzeichnenden klimatischen Veränderungen?

Der Beginn der Landwirtschaft und Nutztierhaltung mit den gewaltigen Mengen an Methan, die diese Tiere in die Atmosphäre blasen?

Oder gar die erste Atombombe mit dem Beginn des nuklearen Zeitalters?

Welcher Faktor ist der erdgeschichtlich relevanteste? Wann beginnt das neue Zeitalter?

Wir stehen erdgeschichtlich am Anfang des Anthropozäns, die Frage ist daher heute nur schwer zu beantworten. Manche Geologen plädieren deshalb für mehr Gelassenheit. Sie sagen: Es ist jetzt noch zu früh, darüber endgültig zu entscheiden. Bewerten lässt sich das erst in Zukunft, in der Rückschau mit dem erforderlichen Abstand.
 
O-Ton Prof. Dr.Gert Wörheide
 
Leben wir noch im Holozän oder schon im Anthropozän? Ein Gelehrtenstreit!

Aber das „Anthropozän“ braucht in jedem Fall auch heute schon die gesellschaftliche Diskussion. Die ist auch ohne fest vorgegebenes Erdzeitalter möglich. Denn ganz gleich, ob die Stratigraphen heute schon in der Lage sind, den Beginn des Anthropozäns in Sedimenten eindeutig und verbindlich festzulegen oder nicht: Die Erde als Gesamtsystem zu begreifen, ist eine Aufgabe, die weit über die Geologie oder die Wissenschaft hinaus reicht. Jeder Erdbewohner hat die Pflicht, sich bewusst mit dem Anthropozän auseinander zu setzen und seine Rolle als Teil des Ganzen zu verstehen.
 
 
Vorschaufoto: NASA

Erstsendung: Dezember 2016

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