Verschollener Schatz

Verschollener Schatz

Like This Video 0 Susanne
Added by 20. Oktober 2016

Nachweis einer erdnahen Supernova vor 2,3 Millionen Jahren

 

Eisen-60 ist ein Isotop, das bei Supernova-Explosionen frei gesetzt wird. Mit anderen chemischen Elementen wird es in einer gewaltigen Schockwelle in den Weltraum geschleudert, die mit der interstellaren Materie interagiert. Vor rund 2,3 Millionen Jahren ist die Erde offenbar in eine solche Explosionsblase geraten. Auswertungen von Tiefseeproben – und vor kurzem sogar in einer erneut analysierten Mondprobe – bestätigen diese Theorie, die erstmals in den neunziger Jahren aufkam. Die Supernova soll sich in einer Entfernung von nur wenigen hundert Lichtjahren zum Sonnensystem ereignet haben.

 

Sprechertext des Videos:

Die Milchstraße – ein mächtiger Verbund aus einigen hundert Milliarden Sternen.

Einer davon: unsere Sonne – ziemlich durchschnittlich. Es gibt aber auch ganz andere Typen. Die massereichsten Sterne enden in einer spektakulären Explosion: einer Supernova. Dabei werden große Teile ihrer Materie in die Weiten des Weltraums geschleudert, darunter auch radioaktive Isotope schwerer Elemente.

           (O-Ton Prof. Dr. Breitschwerdt)

Die Schockwelle breitet sich schnell aus und leuchtet in der frühen Phase besonders hell im Röntgen- und Gammalicht. Dabei kommt es zu Turbulenzen mit der interstellaren Materie, die den Raum zwischen den Sternen erfüllt. Die Schockwelle wird immer mehr abgebremst, nach einer Million Jahre leuchtet sie nur noch so schwach, dass sie für Astrophysiker dann kaum noch messbar wird.

Im Zentrum dieser gigantischen Materiewolken bleibt ein schwer beobachtbarer Rest zurück: ein Neutronenstern, ein Pulsar oder gar ein Schwarzes Loch. Deshalb ist auch die genaue Zuordnung des Explosionsherdes zu einem beobachtbaren Himmelsobjekt oft recht kompliziert.

All das ist Ursache dafür, dass Stern-Explosionen der Vergangenheit oft im Verborgenen bleiben.

           (O-Ton Prof. Dr. Breitschwerdt)

Durchschnittlich kommt es in der Milchstraße etwa alle fünfzig Jahre zu einer Sternexplosion. Oder, um mit den Worten des Astrophysikers zu sprechen:

          (O-Ton Prof. Dr. Breitschwerdt)

Interessante Fragen knüpfen sich daran an: Wie nah kamen uns solche Ereignisse in der Vergangenheit? Warum sehen wir gerade in unserer unmittelbaren Nähe keine Supernova-Überreste? Und welche Ursache hat die schwache Röntgen-Hintergrundstrahlung, die das Sonnensystem umgibt?

An dieser Stelle der Geschichte tritt Dieter Breitschwerdt auf den Plan. Der Astro-Theoretiker war schon in den neunziger Jahren überzeugt, dass diese Hintergrundstrahlung von einer Supernova in nächster Nähe zu uns herrühren könnte, dass unser Sonnensystem also im Überrest einer gewaltigen Sternexplosion sitzt – vielleicht sogar in einer lokalen Superblase, die entsteht, wenn sich mehrere Supernovae innerhalb weniger Millionen Jahre auf astronomisch engem Raum ereignen.

So nah – und doch nicht zu beobachten?

          (O-Ton Prof. Dr. Breitschwerdt)

Der Angelegenheit wollte er mit theoretischen Berechnungen auf die Spur kommen und verfolgte rechnerisch die Bahnen junger Sterne um uns herum in die Vergangenheit zurück, auf der Suche nach Indizien für Supernovae. Genauer gesagt: in einer Kugel mit einem Radius von 600 Lichtjahren.

          (O-Ton Prof. Dr. Breitschwerdt)

In den Plejaden machte er eine Gruppe von etwa achtzig nahe zusammen stehenden Sternen aus, die offenbar einen gemeinsamen Ursprung haben. Entstanden vor 20 bis dreißig Millionen Jahren, reisen sie seither als offener Sternhaufen durch die Milchstraße – als sogenannte Bewegungsgruppe, die Breitschwerdt gern auch einen Sternstrom nennt. Dieser näherte sich vor rund zwei Millionen Jahren unserem Sonnensystem bis auf wenige hundert Lichtjahre. Seither bewegt er sich wieder von uns weg. Diese offenbar zusammen gehörende Sterngruppe zeigt für den Astrophysiker eine auffällige Anomalie: Es finden sich darin kaum massereiche Exemplare, die in diesem Haufen jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit entstanden sein mussten – zumindest nach allem, was die Astroforscher heute über die Sternentstehung in der Galaxis wissen.

          (O-Ton Prof. Dr. Breitschwerdt)

Breitschwerdt sagte schon damals: Heute ist von diesen Supernova-Explosionen für uns nichts mehr zu sehen, nur noch deren lokale Blase bleibt messbar – eben jene spezifische Reststrahlung im weichen Röntgenlicht, die unser Sonnensystem erfüllt. Beweisen konnte Breitschwerdt seine Blasen-Theorie erst einmal nicht.

Aus der Sternenwelt zurück auf die Erde. Ganz tief hinunter auf den Meeresgrund der Tiefsee. Hier liegt ein Schatz verborgen, der für die Astronomie jetzt ans Licht befördert wird.

Alles begann in den neunziger Jahren. Ein Forschungsteam der TU in München analysierte Tiefsee-Bodenproben mit einem neuartigen Massenspektrometer – auf der Suche nach bisher nicht messbaren Isotopen. Erstmals wiesen sie in Manganknollen das Eisen-Isotop 60 nach. Da es praktisch keine natürlichen irdischen Quellen dafür gibt, lag die Vermutung nahe, dass das Eisen mit einer Supernova aus dem Weltraum zur Erde kam.

Allerdings gab es für solche Mutmaßungen ein echtes Problem: Astrophysiker kannten in unserer Nähe keine Supernova, die sie dafür verantwortlich machen konnten. Aber Breitschwerdt hatte ein theoretisches Modell: die verschollenen Supernovae des Sternstroms!

Als Breitschwerdt in den Neunzigern von den Eisen-60-Veröffentlichungen erfuhr, elektrisierte ihn das. Passte eine Explosion aus seinem Modell dazu? Zwei Jungwissenschaftler aus seinem Team gingen dieser Frage die letzten Jahre genauer nach. Jenny Feige wertete für diesen Zweck besonders interessante Tiefseeproben aus und stellte analytische Rechnungen zu Supernova-Überresten an. Michael Schulreich konkretisierte an diesen Ergebnissen das Basismodell der Superblase durch aufwändige numerische Simulationen.

Die Supernova vor 2,3 Millionen Jahren in knapp 300 Lichtjahren Entfernung vor unserer Haustüre gilt inzwischen durch die Tiefsee-Messungen als sehr wahrscheinlich und lässt sich auch im Blasen-Modell gut erklären.

Und so sah die Blase aus, als sie das Sonnensystem überrollte.

          (O-Ton Prof. Dr. Breitschwerdt)

Die Supernova wird inzwischen durch weitere Messungen erhärtet. Sogar auf unserem Trabanten: Angeregt durch die Tiefsee-Funde hat eine Forschungsgruppe der TU in München eine Mondprobe der NASA neu analysiert. Auch hier: der Nachweis einer Eisen-60-Konzentration!

Mehr noch: Eisen 60 ist vor kurzem sogar in organischem Material auf dem Meeresgrund gefunden worden. In zwei Sedimentbohrkernen aus dem Pazifik hat sie der Münchner Astrophysiker Peter Ludwig mit seiner Arbeitsgruppe nachgewiesen – weltweit zum ersten Mal in den Überresten bestimmter Bakterien. Sie nutzten zur Orientierung kleine Magnetitkristalle in den Zellen. Als Mikrofossilien geben sie uns heute noch genauen zeitlichen Aufschluss: vor rund 2,7 Millionen Jahren ist in den Bakterien erstmals angelagertes Eisen-60 nachweisbar. Die Konzentration erreichte vor rund 2,2 Millionen Jahren ebenfalls ihren höchsten Wert und verschwand dann in den Fossilienproben vor rund 1,7 Millionen Jahren.

Doch Breitschwerdt und Schulreich haben ja nicht nur eine, sondern eine ganze Reihe von Explosionen im Visier. In ihrem Modell ereignete sich die erste, die massereichste Supernova bereits vor rund 16 Millionen Jahren, die folgenden aufgrund ihrer Wanderung durch die Milchstraße in unterschiedlichen Entfernungen zur Sonne.

          (O-Ton Michael Schulreich)

Auch wenn die gesamte Supernova-Reihe längst noch nicht gesichert ist: Vor kurzem wagten die beiden erstmals, konkrete Zahlen dafür auf den Tisch zu legen.

          (O-Ton Prof. Dr. Breitschwerdt)

Für das genaue Blasen-Modell zahlreicher Supernova-Explosionen, wie sie Breitschwerdt seit über zwanzig Jahren propagiert, braucht es viele Faktoren, die heute theoretisch nicht eindeutig festzustellen sind: zum Beispiel die genauen Zeitpunkte und die exakten Orte jeder Explosion. Hinzu kommt: Astrophysiker kennen auch das Hintergrundmedium nicht genau, die interstellare Materie mit den darin herrschenden Turbulenzen. All das sind Parameter, die die Ausbreitung der Schockwellen im Raum ganz entscheidend beeinflussen. Es gibt also erheblichen Spielraum für die Modellierung.

          (O-Ton Michael Schulreich)

Für die Theoretiker heißt all das: Weitere Messergebnisse wie die aus der Tiefsee sind für präzisere Modellierung erforderlich. So sagt Breitschwerdt auch heute noch:

          (O-Ton Prof. Breitschwerdt)

Oder, um mit Schulreich zu sprechen:

          (O-Ton Michael Schulreich)

 

Erstsendung: Oktober 2016

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