Mahlzeit, Dino!

Mahlzeit, Dino!

Like This Video 0 Susanne
Added by 17. Juli 2016


 

Das Fressverhalten von Sauriern im Modell errechnet

 

Die Modellierung biologischer Vorgänge hat jetzt auch die Paläontologie erreicht. Der Biologe Kevin Healy hat am Trinity College in Dublin das Fressverhalten fleischfressender Saurier in der Urzeit bioinformatisch berechnet. Sein Interesse galt der Frage, welchen Anteil Aasfleisch haben könnte. Er fand, dass die Körpergröße unterschiedlicher Sauriertypen ein wichtiger Parameter dafür ist.

 

Sprechertext der Studiomoderation:

Dinosaurier sind eine faszinierende Spezies in Museen dieser Welt. Sie sind heute sogar ein großes Geschäft für die Unterhaltungs- und Spieleindustrie – und die fleischfressende Variante des T-Rex sorgt nicht erst seit den Blockbustern um den „Jurassic Park“ für schauriges Gruseln bei Jung und Alt. Für Wissenschaftler wie den Bioinformatiker Kevin Healy im Dubliner Trinity College sind die gewaltigen Saurier ein Forschungsobjekt geworden, das in seinem Computermodell zu einem kleinen Punkt geschrumpft sind. Hier zeigen Sie, dass sich T-Rex und Konsorten nur selten lebendigem Fleisch hinterher jagten. Sie waren unseren Hyänen ähnlich, deren Mahlzeiten vor allem aus Assfleisch bestand. Wie, das erklärt und Kevin Healy gleich selbst.

 

Sprechertext der Reportage:

Das altehrwürdige Trinity College in Dublin, 1592 gegründet. Der Gebildete weiß, dass hier einige der ganz großen Literaten zuhause waren: kein geringerer als Oscar Wilde – oder Drakulas Schöpfer Bram Stoker – und natürlich Samuel Beckett, dessen Seele hier im College vielleicht immer noch auf Godot wartet! Das geschriebene Wort hat hier also große Bedeutung – und so gilt die Bibliothek der Hochschule mit Schriften aus vergangenen Zeiten auch als Top-Sehenswürdigkeit für Touristen aus der ganzen Welt.

Kevin Healy gehört zu einer anderen Fraktion. Er arbeitet nicht mit Worten, sondern mit Algorithmen.

Als promovierter Zoologe und Bioinformatiker liegt sein Zuhause am ganz anderen Ende des Campus.
 
O-Ton Dr. Kevin Healy (Übersetzung)
Hier ist das Physik-Gebäude – und da drüben ist unser Kricketplatz, ich glaube aber, jetzt im Regen spielt gerade keiner. Daneben ist das Rugby-Feld. Und hier hinter mir ist das Zoologie-Department, in dem ich arbeite. Unser Museum ist da auch drin.

 
Auch Kevin Healy befasst sich mit der Vergangenheit, eine, die sogar viele Millionen Jahre zurück liegt. Leblose Skelette also, die – wie hier, im Frankfurter Senckenberg-Museum – überall auf dieser Welt Jung und Alt begeistern. Die wissenschaftliche Frage, die Kevin bewegt, ist doch recht speziell: Was stand bei diesen uns nur museal bekannten Wesen so alles auf der Speisekarte? Frischfleisch oder Aas?
 
O-Ton Dr. Kevin Healy (Übersetzung)
Es gab Vermutungen, und man durfte annehmen, dass sie sich auch von Aas ernährte. Aber wir hatten keine Ahnung, wie wichtig es war. Jetzt wissen wir mit Sicherheit: Kein Dinosaurier welcher Größe auch immer war in der Lage, sich allein von Kadavern zu ernähren. Das reicht einfach nicht. Und wir können auch sagen, dass die Saurier mit einem Gewicht zwischen etwa 30 und 900 Kilogramm optimiert waren auf das Fressen von Aasfleisch, ähnlich unseren Hyänen heute.

 
Manchmal nimmt das Leben sonderbare Wendungen, denn ursprünglich standen bei Kevins Forschungen Dinosaurier nicht im Mittelpunkt. Er befasste sich mit algorithmischen Modellen, die sich darum drehten, welche Rolle die Körpergröße von Tieren beim Jagen oder auch bei der Flucht spielt.
 
O-Ton Dr. Kevin Healy (Übersetzung)
Die Beschäftigung mit Dinosauriern ist erst über eine Zusammenarbeit mit einem anderen Forscher entstanden: mit Dr. Adam Kane, ein Kollege, der jetzt an der Cork University arbeitet. Sein Interesse galt den Aasgeiern. Meine Erfahrungen in der mathematischen Modellierung und sein Wissen über deren Biologie kamen da zusammen. Irgendwie entwickelte sich das bei unseren Gesprächen, wir kamen auf die Frage, wie das eigentlich bei nicht mehr existierenden Lebewesen sein könnte. Und die größten und berühmtesten ausgestorbenen Raubtiere sind nun mal die Dinosaurier. Also, es hat sich irgendwie ganz selbstverständlich beim Teetrinken ergeben.

 
Und so machten sich die beiden mit dem Know How des 21. Jahrhunderts auf die digitalisierten Spuren einer längst ausgestorbenen Tiergattung. Es geht dabei um Biologie, aber irgendwie auch um pure Physik:
 
O-Ton Dr. Kevin Healy (Übersetzung)
Die maßgeblichen Treiber dieses Musters sind harte, physikalische Begrenzungen: zum Beispiel die Größe des Magens. Ganz gleich, wie groß der Kadaver ist, den du findest, du kannst immer nur so viel fressen, wie in deinen Magen passt. Mehr Energie kannst du aus dem Stück toten Fleisches nicht gewinnen. Aber auch die Physik der Motorik ist bedeutsam, und wieviel Energie der Körper in Abhängigkeit des Körpergewichtes für seine Bewegung braucht. Das sind harte Fakten.

 
Kevin zeigt mir das grundsätzliche Modellierungsprinzip für das große Saurierfressen. Schade, dass die Saurier da zu kleinen Dreiecken geschrumpft sind. Aber die haben es eben in sich, sie enthalten alle jene Größen, die über Schieberegler eingestellt werden können – und vieles mehr. Rund hundert solcher Modelle wurden gerechnet.
 
O-Ton Dr. Kevin Healy (Übersetzung)
Wir konnten darin die Energie des Aasfleisches bestimmen, dann haben wir auch variabel festlegen können, bis zu welcher Entfernung ein Saurier diese Kavader noch entdecken kann, da haben wir auf unsere Kenntnisse bei Hyänen zurück gegriffen. Die können Kadaver bis zu einer Entfernung von zwei Kilometern riechen. Aber das ist schon extrem. Wir haben deshalb auch ein Modell gerechnet, in dem sie das nur bis zu 500 Meter entfernt wahrnehmen konnten, und dann eines mit nur 200 Metern. Dann haben wir auch komplexere Systeme gerechnet, in denen es beispielsweise mit sehr vielen Tieren stärkeren Wettbewerb ums Fleisch gab. Bei einem weiteren Modelltyp blieb die Fleischmenge zwar gleich, aber es gab mehr größere Tiere und viel weniger kleine, Pflanzen fressende Saurier.

 
All diese unterschiedlichen Parameter fußen auf einem Basismodell, das dem der heutigen Serengeti entspricht. Die Ergebnisse der Modelle zeigen zwar unterschiedliche Kurven, aber ebenso ein typisches Muster.
 
O-Ton Dr. Kevin Healy (Übersetzung)
In fast allen Szenarien haben wir das gleiche Muster gefunden: Kleine Lebewesen wie diese Saurier hier, die nur 10 bis 20 Kilogramm wiegen, sind beim Aasfressen wenig effizient. Gemeint ist: Die Energie, die sie aufwenden müssen, um Kadaver zu finden, ist hoch – verglichen mit der Energiemenge, die sie dann aufnehmen können. Auch im Wettbewerb haben sie schlechte Karten, da sie von größeren Tieren leicht abgedrängt werden können. Am anderen Ende, beispielsweise der Tyrannosaurus Rex, da ist das auch so. Er hat kein Problem, zum Fressen zu gelangen, aber es kostet ihn viel Energie, herum zu wandern. Es sind riesige Tiere – 15, 20 Tonnen an Gewicht. Das ist viel Masse, die da bewegt werden muss. Selbst für ein Tier mit 5 Tonnen ist es noch schwierig, die eingesetzte Energie zurück zu gewinnen. Was wir also im Modell nachweisen können: Die Tiere im mittleren Gewichtsbereich – also der Dilophosaurus oder auch der junge T-Rex mit einer halben Tonne Gewicht -, das sind die effizientesten Aasfresser. Sie können bis zu neunzig Prozent ihrer Nahrung aus Aasfleisch gewinnen. Das entspricht übrigens genau dem Wert, was wir von Hyänen kennen.

 
Für die Modellierung nutzt Kevin eine schon lange bekannte Simulationsmethode, eine, die Systeme behandelt, sie sich selbst regulieren können. Der Experte nennt sie „ agentenbasierter Modellierung“. Deren Bandbreite für den Einsatz ist gewaltig: Sie dient Teilchenphysikern seit zwei Jahrzehnten zur Berechnung der dynamischen Vorgänge im atomaren Bereich, Wirtschaftswissenschaftler setzen sie für Simulationen des Verbraucherverhaltens im Massenmarkt ein und Biologen kennen sie für die Berechnung des Schwarmverhaltens von Tieren. Es geht dabei also immer um komplexe Wechselwirkungen einer Vielzahl individueller Elemente in einem Gesamtsystem. Für paläontologische Fragen ist die Methode bisher wohl selten zum Einsatz gekommen – und jedenfalls noch nie zuvor für die Saurierforschung.
 
O-Ton Dr. Kevin Healy (Übersetzung)
Wir haben dafür eine neue Simulationsmethode genutzt, in der sich die Saurier selbst verhalten können. Wir setzen zwar die Regeln dafür, aber dann treten wir zurück. Die Saurier können sich im System selbst entwickeln, wir sagen, sie entwickeln emergentes Verhalten.

 
Nimmt also die Digitalisierung, wollte ich jetzt wissen, auch in der Paläontologie überhand?
 
O-Ton Dr. Kevin Healy (Übersetzung)
Das ist schwer zu sagen; denn die Modellierung hat auch ihre Grenzen. Hard-Core-Graben nach Fossilien wird auch weiterhin in der Paläontologie ganz wichtig bleiben. Aber sicher, wir können beispielsweise Tiere modellieren ohne ihre genaue Größe zu kennen; es gibt biomechanische Modellierung, die wir auch haben mit einfließen lassen. Ja, ich hoffe, dass es ein größerer Trend wird, vor allem dann, wenn es um ganze Systeme und die Interaktionen darin geht.

Und was kommt bei Kevin als nächstes?
 
O-Ton Dr. Kevin Healey (Übersetzung)
Für mich geht’s jetzt darum, die Modelle auf lebende Tiere zu übertragen. Es wäre einfach gut, einem Polarbär auf seinem Weg zu folgen.

 
Das irritierte mich dann doch ein bisschen. Warum, fragte ich mich und dann auch ihn, habe er eigentlich mit der so weit entfernten Vergangenheit angefangen? Das ist doch irgendwie ziemlich überraschend.
 
O-Ton Dr. Kevin Healey (Übersetzung)
Ja, wir waren auch überrascht. Als wir angefangen haben, hatten wir keine Ahnung, was wir rausfinden würden. Nachdem wir aber unsere Ergebnisse hatten, wollten wir sie mit Erkenntnissen über lebende Tiere vergleichen – und waren dann ziemlich erstaunt, dass es noch niemand gemacht hat. Das kam wirklich sehr unerwartet für uns. Ja, vielleicht wäre es einfacher gewesen, anders anzufangen – aber die Wissenschaft geht nicht immer die offensichtlichen Wege.

 
Das jetzt erstmals quantifizierte Fressverhalten der alten Dinos in den jetzt vorliegenden Simulationen entspricht nur recht bedingt der Wirklichkeit im Mesozoikum von anno dazumal. Denn die Raptoren haben im Dubliner Modell nicht wirklich eine Wahl. Hier, in dieser fiktiven Welt, gibt es nur Aasfleisch, lebende Beute kann der fleischfressende Dino nicht jagen. Das wäre, wie Kevin glaubhaft versichert, für die Modellierung noch zu kompliziert.
 
O-Ton Dr. Kevin Healey (Übersetzung)
Wenn wir nicht nur Kadaver integrieren könnten, sondern auch Tiere, die sich bewegen, also noch leben, das wäre recht interessant. Jeder Saurier hätte dann die Wahl zwischen der Jagd nach lebendem Fleisch und der Suche nach toter Nahrung. Ein richtiges Entscheidungsmodell wäre einfach zu komplex gewesen, aber da wollen wir natürlich hin, wir möchten solche Dynamiken modellieren. Mal sehen, was das dann für unsere jetzigen Modelle bedeutet.

 
Kevin Healy ist jung, seine wissenschaftliche Laufbahn noch lang und der Fortschritt agentenbasierter Simulationen enorm. Einschlägige Experten gehen davon aus, dass sich selbst die Entscheidungen des menschlichen freien Willens agentenbasiert grundsätzlich abbilden lassen.

Gute Nachrichten für Kevin also. Die Entscheidungsfreiheit von Sauriern zwischen Aasfleisch und lebender Beute zu modellieren – das scheint eine lösbare Aufgabe zu sein!

Erstsendung: Juli 2016

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