Gesundheit digital
Vorsorge und Therapie – zwischen Gamification und Telemedizin
Der Gesundheitsmarkt wird digitalisiert, und dabei kommen neue Spieler ins magische Dreieck aus Pharma-Riesen, Krankenkassen und der Berufsgruppe „Weißer Kittel“. Verschiebungen in den Wertschöpfungsketten setzen bereits ein. Auf einer Konferenz des Munich Network diskutierten Branchenexperten der neuen und der etablierten Player über die Trends in der Szene.
Link-Empfehlungen der Redaktion zu weiterführenden Informationen:
– Bonus-Interview mit dem Dermatologen Prof. Dr. Dr. Johannes Ring über die Rolle des Arztes im Digitalzeitalter – hier
– was uns ein kleiner Blutstropfen alles erzählen kann: Unsere Sendung berichtet über die Fortschritte in der Mikrofluidik, den Einzug von Big Data in die Auswertung von Blut und das „Lab on a Chip“ – hier
– unsere Reportage über den „Einzug der Roboter“ in die Chirurgie – hier
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Konsens über alle Reihen hinweg besteht bei den Experten des Gesundheitswesens vor allem über eine Erkenntnis: Heute ist der Patient der wahre Treiber der digitalen Umwälzung. Vorsorge gewinnt in der Bevölkerung immer mehr an Bedeutung. Spielerische Apps samt sensor-gesteuerter Uhren und Armbänder können dabei heute schon für die Fitness-Steigerung helfen. Die technische Entwicklung zeigt dabei auf kleine Streifen künstlicher Haut, die wie das Produkt der amerikanischen Firma mc10 künftig noch viel mehr Körperfunktionen direkt am Organismus elektronisch erfassen und digital analysieren können. Das Schlagwort der „Gamification“ macht die Runde – und die Experten sind sich einig, dass Vorsorge – auch dank solcher Lifestyle-Produkte – für das System immer mehr an Bedeutung gewinnt. So lassen sich künftig vielleicht sogar die Kosten für teure Therapien chronischer Krankheiten reduzieren, die rund 75 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen ausmachen. Experten wie Guido Hegener von XLHealth geben an, dass davon rund 80 Prozent durch Prävention eingespart werden könnten.
Gleichzeitig ermöglichen die technologischen Entwicklungen rund um die weltweit anwachsenden Gendatenbanken auf der einen und Big-Data-Algorithmen sowie Bildauswertungsverfahren auf der anderen Seite immer bessere Prognose-Tools für die Früherkennung von Krankheiten. Die gleichen Methoden lassen sich auch für die personalisierte Medizin einsetzen, in der die Therapie dank zunehmend genauer Vorhersage über die Wirkungsmechanismen von Präparaten im einzelnen Organismus immer präziser auf das Individuum zugeschnitten werden kann. Beispiel dafür: die Firma Alacris: Sie bietet Ärzten mit einem Computermodell die Möglichkeit, die Wirkung von auf dem Markt befindlichen Krebspräparaten für Patienten zu testen. Benötigt wird dafür nur eine Gensequenzierung des Krebserkrankten.
Bisher war die Erschließung der genetischen Landkarte auf kranke Menschen beschränkt; doch mit der Gensequenzierung für tausend Dollar gerät nun auch der vermeintlich Gesunde ins Zielfeld genetischer Vermessung. Leroy Hood, der kanadische Mediziner und Pionier der Systembiologie, erfasst derzeit in einem gigantischen Feldversuch hunderttausend Testpersonen nicht nur mit ihrem genetischen Fingerabdruck, sondern erhebt über Jahre hinweg die sich verändernden biometrischen und metabolischen Daten dieser „gesunden“ Menschen.
Die deutschen Krankenkassen wiederum stehen den sich abzeichnenden massiven Veränderungen heute noch eher hilflos gegenüber und sind weitgehend ohne klaren Plan, wie all dem zu begegnen ist. Dr. Detlev Parow von der DAK sieht die Gefahr, dass die öffentlichen Krankenkassen angesichts der Veränderungen im Markt „möglicherweise den Anschluss an die Wirklichkeit verlieren“.
Der Umbruch ist im Gange, aber es gibt für die weitere Entwicklung zahlreiche offene Flanken. Eine davon ist der juristische Rahmen, der derzeit noch aus dem vorigen Jahrhundert stammt und nicht nur nach Meinung des Juristen Marc L. Holtorf den modernen Anforderungen längst nicht mehr genügt. Das gilt beispielsweise auch für den Bereich der Telemedizin: Deutschen Ärzten ist es bisher untersagt, Menschen ohne persönlichen Praxisbesuch medizinischen Rat zu erteilen, entsprechende Services werden in der globalen Netzwelt jedoch schon angeboten – teilweise sogar von deutschen Start-Ups, die ihren Firmensitz dafür ins Ausland verlegt haben. Für den Juristen Timo Ehmann steht die Herausforderung für die Gesellschaft nun darin, das herrschende Machtgefüge durch die neu in den Markt drängenden Player wieder auszubalancieren.
Erstsendung: August 2015
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