Universale Strukturen
Astrophysiker modellieren die Entstehung des kosmischen Webs
Die Strukturbildung des Universums ist eine Trenddisziplin der Astrophysik. Mit Modellen versuchen Kosmologen, seine Entstehungsgeschichte seit den Dichteschwankungen im Quark-Gluon-Plasma nachzubilden und das durch Gravitation und Expansion gebildete kosmische Web aus Galaxienhaufen, Superhaufen und Filamenten vorstellbar zu machen.
Link-Empfehlungen der Redaktion zu weiterführenden Informationen:
– zu unserem Bonus-Clip „Vom Urknall zum leeren Universum“ und dem ersten Teil des Talks mit dem Kosmologen Prof. Dr. Hans Böhringer vom Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik – hier
– zu unserem Bonus-Clip „Heiße Gase und kalte Dunkle Materie“ und dem zweiten Teil des Talks mit dem Kosmologen Prof. Dr. Hans Böhringer – hier
– zu unserer Reportage „Xenon 1 Tonne mit Reinheitsgebot“ über den Stand des Gran-Sasso-Projektes für den Nachweis der Dunklen Energie und Hintergründe zu der dafür einsetzten Technologie – hier
– mehr über die unterschiedlichen Nachweismethoden der Dunklen Materie im Talk mit dem Astrophysiker Prof. Matthias Bartelmann – hier
– Wissenswertes über Macho, WIMP und andere exoten des Himmels un unserer Feature-Sendung „Die dunkle Seite des Universums“ – hier
Mehr Hintergrund-Infos zum Inhalt des Videos:
Unsere Galaxis ist Teil der Lokalen Gruppe, wie der kosmische Nahbereich des Universums von Astronomen heute genannt wird. Dazu gehören die beiden seit alters her bekannten Magellanschen Wolken, zwei irreguläre Galaxien, die am Himmel als diffuse Lichtflecken zu erkennen sind und etwa 700.000 Lichtjahre von uns entfernt sind. Der Andromedanebel in 2,5 Millionen Lichtjahren ist die uns nächst gelegene Spiralgalaxie. Neben solchen großen Himmelsobjekten in unserem Nahbereich kennen wir inzwischen knapp fünfzig weitere Zwerggalaxien, die unsere Lokale Gruppe besiedeln und vergleichsweise nur sehr wenige Sterne haben. Die Lokale Gruppe ist Teil einer größeren Himmelsstruktur und gehört zu einem Superhaufen, der von einem Forschungsteam jüngst „Laniakea“ getauft wurde. Er erstreckt sich etwa 500 Millionen Lichtjahre im Raum. In ihm befinden sich in einer dicht gepackten, aber nicht gleichmäßig verteilten Struktur rund 100.000 Galaxien, jede mindestens so groß wie unsere eigene Milchstraße.
Die Materie des Universums bildete sich nach dem Urknall aus einem Plasma, einer Art Ursuppe aus Quarks und Gluonen. Quantenfluktuationen erzeugten darin Dichteschwankungen. Sie sind zu gravitativen Instabilitäten angewachsen; aus den beiden entgegengesetzten kollosalen Kräften Gravitation und Expansion entstanden die heute beobachteten vielfältigen Strukturen im Universum. Galaxien und Galaxienhaufen sind über Filamente – Materieströme aus heißen Gasen – miteinander verbunden. Die intergalaktische Materie wird von den Gravitationszentren angezogen. In den Randbereichen von Galaxien entstehen aus diesen Gasen laufend neue Sterne. Ebenso entstehen in den Filamenten durch gewaltige Massekonzentrationen immer noch neue Galaxien. Über den heutigen Stand der Forschung sprach Susanne Päch mit dem Kosmologen Prof. Hans Böhringer vom Max-Planck-Institut für extratrerrestrische Physik.
Aber auch dieses Thema stellt die Reportage vor: Ein internationales Forscherteam hat unsere nähere Umgebung genau kartografiert und für achttausend der zu unserem lokalen Superhaufen gehörenden Galaxien eine dreidimensionale Karte des lokalen Universums und den darin waltenden Gravitationskräften erstellt. Aufbauend auf den Erkenntnissen des Laniakea-Teams hat das internationale Forschungsprojekt CLUES verschiedene kosmische Modelle in höchster räumlicher und zeitlicher Auflösung gerechnet und damit verglichen. Dabei ging es auch um die Erklärung einer offensichtlichen Diskrepanz heutiger Modelle: Simulationen führen zur Entstehung von wesentlich mehr Zwerggalaxien als wir heute tatsächlich beobachten. Selbst in unserer Nachbarschaft müssten zahlreiche Objekte mit einem Bruchteil von Masse und Ausdehnung unserer Milchstraße existieren. Zwerggalaxien bewegen sich nach neuester Annahme mit hoher Geschwindigkeit durch den Raum. Durchqueren sie Materiekonzentrationen – beispielsweise am Rande einer Galaxis – verlieren sie Materie. Die großen Galaxien erweisen sich als kannibalische Himmelsstukturen, die stetig heranwachsen, weil sie sich die Materie von Zwerggalaxien einverleiben. Die ihrer Materie weitgehend beraubten Relikte der großen Zahl von entstandenen Zwerggalaxien sind daher so lichtschwach, dass sie durch das Beobachtungsraster irdischer Sensoren fallen.
Es gibt aber auch eine zweite, ganz anders gelagerte Erklärung für die „missing satellites“. Astrophysiker des CLUES-Projektes haben sie in einem alternativen Berechnungsmodell gefunden. Heute gehen die meisten Astrophysiker davon aus, dass Dunkle Materie „kalt“ ist. Als die Astrophysiker im Clues-Projekt ihre Simulationen mit „warmer“ Dunkler Materie rechneten, gab es ein interessantes Ergebnis: Es bilden sich unter dieser Annahme im kosmischen Netz deutlich weniger Zwerggalaxien heraus. Auch der Vergleich der daraus entstandenen Struktur zeigte befriedigende Übereinstimmung mit der heute bekannten Materieverteilung in der Lokalen Gruppe. Schon wird darüber diskutiert, ob es im Kosmos möglicherweise unterschiedliche Arten Dunkler Materie geben könnte, aber ein wirklich überzeugendes Modell fehlt bisher noch.
Erstsendung: Dezember 2015
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