Echter Zufall oder Determinismus?
Die Turing-Maschine und Weltmodelle mit zellularen Automaten
Leben wir in einer deterministischen Welt, in der der Zufall nur unsere Unkenntnis der zugrunde liegenden Gesetze offenbart? Oder gibt es in unserem Universum Ereignisse „echten“ Zufalls? Mit zufallsgesteuerten zellularen Automaten zeigt der Physiker und Computerkünstler Herbert W. Franke, wie sich eine deterministische Welt von einer Welt mit echtem Zufall grundlegend unterscheidet – eine Frage, die nach heutigem Stand der Kenntnis niemals geklärt werden kann, da ihre Antwort in der Unendlichkeit liegt.
Link-Empfehlungen der Redaktion zu weiterführenden Informationen:
– zu Stephen Wolframs eindimensionalen zellularen Automaten und der „New Kind of Science“ – hier
– „Das Lebensspiel und andere Gitterautomaten“ – Beitrag von Herbert W. Franke zu zufallsgesteuerten und deterministischen Weltmodellen mit zellularen Automaten in „Telepolis“ – hier
– mehr über Herbert W. Franke bei „art meets science“ – hier
Mehr zum Inhalt des Videos:
Mathematiker unterscheiden zwischen echtem Zufall und sogenanntem Pseudozufall, der nur „unvorhersehbar“ ist, weil wir die zugrundeliegenden Gesetze nicht überblicken. Es war der geniale Mathematiker Alan Turing, der in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ein Rechnermodell der Theoretischen Mathematik entwickelte, mit dem sich für alle Zahlenreihen und Algorithmen theoretisch feststellen lässt, ob sie berechnet werden können. Die nach ihm benannte Turing-Maschine zeigt: Liegt „echter“ Zufall vor, kann sie nicht berechnet werden, die Turing-Maschine läuft bis in die Unendlichkeit. Ob wir also in einer Welt mit echtem Zufall leben oder nicht, ist nach heutiger Sicht der Mathematiker faktisch niemals zu beantworten und daher nur philosophisch zu debattieren.
Allerdings: Die Welt mit Pseudozufall unterscheidet sich gravierend von einer Welt mit echtem Zufall. Herrscht nur Pseudozufall, leben wir in einem deterministischen Universum – will heißen: Bei identischen Anfangsbedingungen wird sich die Welt immer völlig identisch entwickeln, mit ihr auch alle lebenden Wesen darin. Die Evolution ist dann zwangsläufig eindeutig vorgegeben, es gibt keine Freiheitsgrade in der Entwicklung – auch für das individuelle Leben des Einzelnen nicht. Die Thermodynamik, die Quantenelektrodynamik und die Evolution sind Paradebeispiele, in denen heute von der Wissenschaft nur statistische Aussagen getroffen werden. Alle Versuche, feste Gesetze dafür zu finden, sind bisher gescheitert. Ein Indiz dafür, dass es echten Zufall in unserer Welt tatsächlich geben könnte?
Davon ist der theoretische Physiker Herbert W. Franke überzeugt, der sich mit der Sinterbildung in Tropfsteinen und der Geochronologie befasst, aber als Grenzgänger in der Wissenschaft auch als international anerkannter Pionier der künstlerischen Computergrafik gilt. Seit vielen Jahrzehnten beschäftigt er sich mit dem Einfluss des Zufalls in Weltmodellen und gehört zur Minderheit jener Wissenschaftler der exakten Disziplinen, die überzeugt ist, dass echter Zufall einen festen Platz in unserer Welt hat. Mit den von Stephen Wolfram in die Mathematik eingeführten eindimensionalen zellularen Automaten versucht Franke, den Einfluss von Zufallsprozessen in Weltmodellen visuell zu simulieren und anschaulich zu machen. Susanne Päch spricht mit ihm über den Zufall in der Welt, was wir aus den Experimenten mit zellularen Automaten lernen können und welche Konsequenzen das Thema für unser Weltbild hat. Dabei gibt auch Franke persönliche Einblick darüber, warum er sich mit diesem Thema so intensiv befasst.
Erstausstrahlung: Juni 2014
© 2014 mce mediacomeurope GmbH
Sehr interessanter Beitrag. Ich ände es schön wenn die Videos auch „einbettbar“ wären oder auch bei Youtube veröffentlicht werden würden.
Der Link zu „art meets sience“ funktioniert nicht. Es fehlt das „f“ in „.info“.
Herzlichen Dank für das Lob und natürlich auch für den Tippfehler! Unsere Videos sind auf YouTube nur als Teaser (mit kleinem Nachlauf – abrufbar, also gekürzt. Es ist halt so, dass die Produktionen, die ich ja weitgehend selbst finanziere, für mich einen großen Wert darstellen und ich das nicht einfach so an einen Weltkonzern Google verschenken möchte. Leider ist eine Einbettung aufgrund der Technologie derzeit nicht möglich. Susanne Päch
Zufall? Verborgene Gesetze?
Waren wir uns nicht sicher, daß der Zufall ein fundamentales Moment in der Quantenmechanik ist (etwa beim Zerfall eines Atoms) und daß, von J.S. Bell bewiesen (Bell`sche Ungleichung) auch keine verborgenen Variablen existieren, die einen Pseudo Zufall als echten Zufall erscheinen ließen?
Gruss derHaupdshüler
Auch ich war der Meinung, dass die Besonderheiten der Quantentheorie – und die nachfolgenden Untersuchungen von Bell – für alle Physiker zur Einsicht geführt hätten, dass in unserer Welt der Zufall auftritt und dabei eine bestimmende Rolle spielt. Deshalb bin ich erstaunt darüber, dass es offenbar jetzt wieder Physiker und Naturwissenschaftler gibt, die eher zum Determinismus neigen. Man muss freilich zugeben, dass die Bellsche Beweisführung nur für eine bestimmte Art von Prozessen der klassischen (und vielleicht noch längst nicht ausgereiften) Quantenphysik gilt. Es ist damit allerdings noch nicht bewiesen, dass es ähnliche Beweise auch für andere Bereiche der Physik gibt. Unser Wissen bezieht sich ja nur auf den uns in irgend einer Weise erkundbaren räumlichen und zeitlichen Ausschnitt des Weltgeschehens und kann deshalb noch lange nicht umfassend sein.
Herbert W. Franke
Wäre es möglich bekannt zu geben, welchen Zufallszahlengenerator hier verwendet wurde bekannt zu geben?
Zum Aufruf von Zufallszahlen verwende ich den Befehl ‘Random‘ der Programmiersprache ‚Mathematica‘. Als Startwert der Berechnung dient die in Bruchteilen von Sekunden gemessene Zeit. Es gibt viele Programme, die von diesen Anfangswerten ausgehend Folgen von Zahlen erzeugen. Welches Programm für eine bestimmte Programmiersprache eingesetzt wurde, wird von den Softwarefirmen normalerweise nicht angegeben (– für Mathematica ist mir das auch nicht bekannt). Genau genommen entsteht dabei kein echter Zufall, sondern sogenannter Pseudozufall, der für die meisten Anwendungen genügt. Echten Zufall zu erzeugen, ist möglich, aber etwas umständlicher. Man braucht dazu Quantenprozesse, beispielsweise auf eine Oberfläche auftreffende Strahlungsimpulse, bei denen die Koordinaten der Einschlagsorte oder Werte von Einschlagzeiten echte Zufallsreihen darstellen. Für meine Demonstrationen aber genügt die Unvorhersagbarkeit der vom ‚RND‘ –Befehl erhältlichen Zahlen völlig. HWF
Wieso sollte der „freie Wille“ durch einen Zufallsfaktor frei sein? Von was soll der Wille überhaupt frei sein? Frei von physikalischen Regeln? Die ganze Idee vom freien Willen ergibt für mich keinen Sinn. Ich habe zwar eine Entscheidungsfreiheit, kann mich aber nur für das entscheiden was mir zum Zeitpunkt der Entscheidung als die beste Option erscheint. Sich für die zweitbeste Sache entscheiden zu wollen, wäre unsinnig.
Wie könnte da ein absoluter Zufall einwirken? Etwa beim Tagträumen oder beim verfolgen von hochphilosophischen Ideen? Inwieweit hat hier mein (freier) Wille überhaupt einen Einfluss? Kann ich denn meinen nächsten Gedanken vorausplanen? Kann ich mich dazu entscheiden vorrauszuplanen was ich als nächstes denken möchte? Oder kann ich abwarten bis mir zufällig ein anderer Gedanken kommt den ich lieber denke als den vorherigen?
In der Tat: Es lässt sich trefflich darüber streiten, was „freier Wille“ überhaupt ist. In jedem Fall aber ist sicher, dass eine deterministische Welt alles determiniert – auch unser Denken. Wenn ich Herbert W. Franke richtig verstehe, dann ist für ihn das Wort „freier Wille“ eigentlich eine irreführende Formulierung, die sich aber eingebürgert hat; allerdings sieht er die Möglichkeit, dass spontane Einfälle, auch kreative Ideen in einer nicht-determinierten Welt durch „echten Zufall“ ausgelöst sein könnten, dem also die Rolle eines Innovationsfaktors in unserer Welt zukommmt. Die Redaktion
Die Frage ist interessant, wie ich eine neue Idee haben kann oder wie ich einen Gedanken denken kann, der von mir oder vielleicht sogar auch von sonst jemanden noch niemals zuvor gedacht wurde. Muss „echter Zufall“ eine Vorraussetzung dafür sein? Wieso sollte sich in meinem Gehirn nicht eine Art der Evolution der Gedanken stattfinden? So wie sich in einer determinierten Welt eine neue Tierart entwickeln kann, kann sich in meinem Gehirn ein neuer Gedanke aus vorangegangenen Gedanken bilden. Ich kann mich darauf konzentrieren und versuchen kreativ zu denken um eine Lösung für ein techniches Problem oder eine Idee für ein Gemälde oder ein Gedicht zu entwickeln. Aber dabei muss ich mich immer auf bereits vorhandenes Wissen und bereits gemachte Gedankenfolgen beziehen. Ich kann nicht darauf hoffen, dass mir zufällig beim Zähneputzen ein Supergedanke einfällt, ohne dass ich auch nur die geringste Anstrengung des Nachdenkens geleistet hätte.
Ich kann nicht ausschließen, dass es vielleicht einen absoluten Zufall gibt und ob er unser Denken in irgendeiner Weise beeinflusst. Aber ich finde, dass hier nach einer Lösung für ein Problem gesucht wird das es garnicht gibt.