Vorsicht: Biowaffe!

Vorsicht: Biowaffe!

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Added by 18. November 2017


 

Forschung der Bundeswehr für mehr Schutz bei terroristischen Anschlägen mit Anthrax

 

Der natürlich vorkommende Erreger des Milzbrands, der Bacillus anthracis, kann in Form von Sporen Jahrzehnte lang im Boden ohne Nahrung überleben. Infiziert sich ein Mensch damit, hat er ganz unterschiedliche Heilungschancen, abhängig vom jeweiligen Stamm des Bazillus. Besonders gefährlich ist der Lungen-Milzbrand, der sogar behandelt eine extrem hohe Sterblichkeitsrate hat. Anthrax ist deshalb in der Geschichte immer wieder als biologische Waffe eingesetzt worden – zuletzt 2011 bei terroristischen Anschlägen, bei denen Briefe mit Anthrax-Pulver verschickt wurden. Susanne Päch besuchte das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, in dem Bakteriologen unter anderem daran forschen, wie sich der Erreger möglichst schnell identifizieren lässt. Das erhöht die Heilungschancen und gibt gleichzeitig Aufschluss darüber, ob es sich bei der Infizierung um einen terroristischen Anschlag handelt oder nicht.

 
Sprechertext der Sendung:
 
Ich besuche das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr. Die Mitarbeiter an diesem Münchner Standort forschen mit einer Vielzahl von Infektionserregern und Biogiften, die als biologische Kampfstoffe eingesetzt werden können. Manche Experimente mit den gefährlichen Stoffen erfordern ganz besondere Schutzmaßnahmen. Wir blicken hier in das Hochsicherheits-Forschungslabor des Instituts. Der Bakteriologe Gregor Grass ist der Spezialist für den Erreger des Milzbrands, den Bacillus anthracis, kurz Anthrax genannt.

O-Ton (schriftlich, nicht wörtlich) Dr. Gregor Grass – Bakteriologe, Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Als Bodenbewohner bildet das Bakterium Sporen und kann in diesem Zustand viele Jahrzehnte überleben. In Sporenform ist der Erreger zudem gegen viele chemische und physikalische Wirkungen resistent: Trockenheit, Hitze, UV-Bestrahlung. Üblicherweise liegen Milzbrandsporen also im Boden sozusagen „schlafend“ vor, bis ein geeigneter Wirt verfügbar wird. Dies sind meist Huftiere, die beim Äsen auch kontaminierten Boden z.B. zusammen mit Gras aufnehmen und sich dabei infizieren.

Damit infizierte Tiere können den Bazillus auch auf den Menschen übertragen. Typischerweise passiert das über Hautkontakt. Mit Antibiotika behandelt ist dieser Hauptmilzbrand gut therapierbar. (Einblendung: Hautmilzbrand – Sterblichkeitsrate 5%). Möglich ist eine Ansteckung aber auch durch den Verzehr von verseuchtem Tierfleisch. Dieser Darmmilzbrand ist bei schneller Diagnose therapierbar. Besonders gefährlich ist der Lungenmilzbrand, der durch Anthrax-Sporen über die Luft übertragen wird und meist tödlich endet. Seit dem Jahr 2000 ist auch der sogenannte Injektions-Milzbrand bekannt, bei dem nach heutiger Annahme mit Anthrax verseuchtes Heroin bei Drogensüchtigen in den Körper gerät. Die Dunkelziffer dieser Infizierten ist unbekannt, aber allein in Deutschland sind dadurch schon mehrere Menschen ums Leben gekommen.

Peter Braun ist Reserve-Offizier bei der Bundeswehr und forscht hier am Institut. Er geht der Frage nach, wie sich der Milzbranderreger Bacillus anthracis über die Zeit genetisch verändert. Mit abgeschwächten Impfstämmen des Bazillus kann auch unter dieser Sicherheitsbank der Klasse zwei gearbeitet werden. Braun interessieren ihn vor allem die Phasen, in denen die Bakterien nicht im Wirt leben, sondern als Sporen scheinbar schlafend im Boden liegen.

O-Ton Dr. Peter Braun, Molekularbiologe, Institut für Mikrobiologie der BUndeswehr

Heute haben ABC-Waffen vor allem terroristisches Bedrohungspotenzial. Die Bundeswehr führt zur Abwehr solcher Angriffe regelmäßig Schutzübungen durch. Was gerade Anthrax für Terroristen besonders attraktiv macht: Große Mengen lassen sich relativ einfach herstellen. Die Sporen können beliebig lang und auch recht platzsparend gelagert werden. Dazu wollte ich mir eine genauere Vorstellung verschaffen.

O-Ton Gespräch Gregor Grass mit Susanne Päch

Dieser Bacillus thuringiensis, der wie Anthrax zu den sporenbildenden Stäbchenbakterien gehört, wird für die Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Die 25-Gramm-Packung enthält rund 350 Milliarden solcher Sporen.

O-Ton Gespräch Dr. Gregor Grass mit Susanne Päch

Terror-Angriffe mit Milzbrand-Bakterien hat es in den letzten Jahrzehnten mehrfach gegeben. Am bekanntesten sind die Anschläge 2001 in den USA, bei denen sieben Briefe mit Anthrax-Pulver an Regierungsstellen und Medienvertreter versandt wurden. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben. Eine Untersuchung ergab, dass die Erreger möglicherweise aus einem US-militärischen Forschungslabor stammten.

O-Ton (schriftlich, nicht wörtlich) Dr. Gregor Grass – Bakteriologe, Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Zum Glück sind Milzbrandanschläge selten. Aber 1993 hat die Aum Shinrikyo-Sekte in Tokio versucht, einen biologischen Anschlag mit Milzbrand durchzuführen. Es gab keine Opfer, da die Kriminellen einen Impfstamm benutzt haben, dem wichtige Pathogenitätsfaktoren fehlten. Damals war es noch möglich, Milzbrandstämme von verschiedenen offiziellen Stammsammlungen zu erwerben. Der Sekte gelang übrigens im Folgenden ein erfolgreicher chemischer Anschlag mit Sarin-Gas in U-Bahn von Tokio.

Für Anthrax wurde hier am Institut eine sogenannte Stammsammlung mit mehreren hundert unterschiedlichen Milzbrand-Stämmen aufgebaut. Darin werden nicht nur die sequenzierten Genome der unterschiedlichen Bazillen mit der jeweiligen Pathogenität für Mensch und Tier erfasst. Auch ihre regionale Herkunft und – soweit möglich – ihre Stammesgeschichte ist dokumentiert. Aufgabe der Bioforensik, also der kriminalistischen Aufklärung biologischer Zusammenhänge, ist es, Methoden zu entwickeln, um diese Genmutationen zu verfolgen, ein wichtiges Teilgebiet hier am Institut. So hat in den letzten Jahren ein internationales Team in Zusammenarbeit mit Experten des Instituts mittels genetischer Analyse die Verbreitung des mit dem „Heroinmilzbrand“ in Zusammenhang stehenden Anthrax-Bakteriums weitgehend nachzeichnen können. Der Erreger wurde höchstwahrscheinlich aus Asien durch Schmuggelwege in verschiedene europäische Länder verfrachtet. Bei solchen Fragen arbeiten die Experten des Instituts in internationalen Kooperationen zusammen – beispielsweise auch mit der amerikanischen Homeland Security.

O-Ton (schriftlich, nicht wörtlich) Dr. Gregor Grass – Bakteriologe, Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Wir bearbeiteten in der Vergangenheit ein von der US Homeland Security gefördertes Kooperationsprojekt mit der Gruppe von Prof. Paul Keim (Northern Arizona University). Hier ging es neben einem Methoden- und Materialaustausch zwischen den Instituten insbesondere um die Harmonisierung der von den Amerikanern entwickelten und jetzt gemeinsam genutzten molekulargenetisch-bioforensischen Typisierungsmethoden.

Solche Informationen helfen dabei, im Fall einer Milzbrand-Erkrankung beim Menschen den genauen Erregertyp und vor allem auch den Weg der Infizierung festzustellen. Nur so lässt sich die wichtige Frage klären, ob die Infektion einen natürlichen Ursprung hat oder ein Anschlag wahrscheinlich ist. Eine rasche Feststellung der Bakterien-Art ist aber auch therapeutisch wichtig, denn je schneller die Infektion gezielt mit Antibiotika behandelt werden kann, desto besser sind die Heilungschancen. Denn der Erreger breitet sich im menschlichen Körper schnell aus.

O-Ton Dr. Gregor Grass – Bakteriologe, Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Unsere Fachgruppe Milzbrand entwickelt Nachweismethoden, die unsere stationäre und mobile Diagnostik unterstützen. Diese diagnostischen Leistungen stehen dann nicht nur der Bundeswehr sondern auch zivilen Ärzten zur Verfügung, die ihre Proben zur Bearbeitung an den Zentralbereich Diagnostik des Instituts senden können. Der schnelle Nachweis wird typischerweise durch Analyse von Patientenproben mittels empfindlicher Methoden zum Nachweis genetischer Marker, nämlich der Polymerase-Kettenreaktion, in unserer diagnostischen Abteilung erreicht. Die Aufklärung des Genotyps kann zwar nicht unmittelbar Leben retten, ist aber für die Infektionsursachenaufklärung hoch relevant.

Die Gensequenzierung ist heute ein wichtiges Instrument der Anthrax-Forschung. Aber auch proteinbiochemische Methoden mit der spektralen Erschließung von Eiweißbestandteilen sind für die schnelle Aufklärung des Erreger-Typs hilfreich.

O-Ton (schriftlich, nicht wörtlich) Dr. Gregor Grass – Bakteriologe, Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Dabei werden Spektren von Eiweißbestandteilen des Erregers untersucht. Die erhaltenen Spektren werden anschließend mit denen von bekannten Referenzstämmen abgeglichen und können dann entweder dem Milzbrand-Erreger oder seinen weniger gefährlichen Verwandten zugeordnet werden.

Aufgrund seiner Gefährlichkeit ist schon der natürlich vorkommende Bacillus anthracis als biologischer Kampfstoff nutzbar. Zur biologischen Waffe wird Anthrax, wenn es mit einem Ausbringungsmittel für die feine Verteilung der Sporen aufmunitioniert wird. Durch den Einsatz moderner Techniken könnte aus Milzbrand künftig sogar eine noch aggressivere Waffe hervorgehen.

O-Ton (schriftlich, nicht wörtlich) Dr. Gregor Grass – Bakteriologe, Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Beim Milzbrand ist das beispielsweise dann der Fall, wenn die einzelnen Sporen so chemisch-physikalisch manipuliert werden, dass diese ein sehr feines Pulver erzeugen, das sich in Luft besonders gut verteilt. Theoretisch könnten auch neue Virulenz- und Pathogenitäts-Faktoren in den Milzbranderreger eingeführt werden, z.B. Antibiotikaresistenzen gegen diejenigen Antibiotika, die bei der Milzbrandtherapie Verwendung finden.

In der aktuellen Ausgabe von Spektrum sagen auch amerikanische Spezialisten, dass Anthrax durch diese jetzt möglich gewordenen, genetischen Eingriffe zu einem ganz neuen Bedrohungspotenzial heranwachsen könnte. Ich wollte vom Experten der Deutschen Bundeswehr wissen, ob er diese Sorge teilt:

O-Ton (schriftlich, nicht wörtlich) Dr. Gregor Grass – Bakteriologe, Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Prof. Keim ist einer der weltweit angesehensten Milzbrandforscher, der auch zur Aufklärung der Milzbrandanschläge 2001 in den USA maßgeblich beigetragen hat. Ich schätze, dass bei allen B-Kampfstoffen genetische Eingriffe theoretisch ein Gefahrenpotential darstellen. Allerdings ist diese reale Gefahr auch bereits beim unveränderten Milzbrand gegeben. Auf die Erkennung genetischer Manipulationen müssen wir vorbereitet sein. Denn alleine eine Resistenz gegen die gängigen Antibiotika könnte im Ausbruchsfall für große Probleme sorgen. Für diese Herausforderungen müssen wir unsere diagnostischen Fähigkeiten weiterentwickeln.

Die Finanzierung der Forschung hier am Institut für Mikrobiologie kommt aus dem Bundeswehr-Budget. Nur sehr selten hat man Gelegenheit, in die Labors einer solchen militärisch geführten Einrichtung blicken zu dürfen. Natürlich war ich zuletzt noch neugierig zu erfahren, wie sich Forschung an einem derartigen Institut vom konventionellen Wissenschaftsbetrieb unterscheidet.

O-Ton (schriftlich, nicht wörtlich) Dr. Gregor Grass – Bakteriologe, Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Kernaufgabe des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr ist die Sicherstellung der medizinischen Urteils- und Handlungsfähigkeit der Streitkräfte im Falle des Einsatzes biologischer Kampfstoffe gegen Bundeswehrangehörige. Dies erfordert vor allem, dass es sehr schnell gelingt, den ursächlichen Erreger zu identifizieren, um die Erkrankten angemessen zu behandeln und um weitere Opfer zu vermeiden. Wir haben also einen definierten Forschungsauftrag, einen „Korridor“, in dem wir uns wissenschaftlich entfalten können. Universitäten haben diese spezielle Fokussierung i.d.R. nicht. Dennoch arbeiten wir mit verschiedenen Universitäten in In- und Ausland eng zusammen, um wissenschaftliche Fragen zu beantworten oder diagnostische Tests zu entwickeln. Außerdem ergänzen wir unser Stammpersonal regelmäßig durch Studierende in- und ausländischer Kooperationspartner. Oft münden solche Arbeiten in neue Tests oder Methoden, die dann auch in unserer diagnostischen Abteilung praktische Anwendung finden. Ungeachtet dieser Unterschiede haben wir mit den Universitäten gemein, dass wir grundsätzlich unsere neuen Erkenntnisse veröffentlichen, um sie der wissenschaftlichen Gemeinschaft zugänglich zu machen.
 
 
Erstsendung: November 2017
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