Schalter im Kopf

Schalter im Kopf

Like This Video 0 Susanne
Added by 17. August 2018


 

Neurobiologen erforschen den Insulin-Rezeptor im Gehirn

 

Dass Adipositas, die Fettleibigkeit, auf eine Fehlfunktion der Insulin-Regelung im Körper zurück geht, weiß der Mediziner seit langem. Dass sie aber im Kopf beginnt und dort schon vor dem Ausbruch der Erkrankung feststellbar ist, gehört zu den neueren Entdeckungen bei der Suche nach den Ursachen von Diabetes des Typs II. Im Zentrum der Forschung: Experimente mit dem Insulin-Rezeptor in der Neuro-Glia. Susanne Päch hat die Neurobiologin Cristina García Cáceres besucht, und sich mehr über deren Experimente an Mäusen erzählen lassen.

 
 
Sprechertext der Sendung:
 
Cristina García Cáceres ist Neurobiologin. Mit einer Gruppe junger Wissenschaftler aus der Hirnforschung, der Biochemie und der Genetik untersucht sie Hirnfunktionen von Mäusen. Die Fragen, die sie erforscht, drehen sich darum, wie das Gehirn den Stoffwechsel im Körper steuert und wie es dabei auch zu Fehlfunktionen kommen kann, die bei den Tieren zu Fettleibigkeit oder Diabetes führen. Ich habe sie in ihrem Labor am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung besucht, um mehr über ihre Experimente zu erfahren. Sie können uns auch Aufschluss über diese Fehlfunktionen beim Menschen geben.

Die Nahrung wird über den Mund aufgenommen und zuerst in der Bauchspeicheldrüse und im Magen mit Säure verdaut. Dann wird sie im Darm in ihre Basis-Bestandteile zerlegt, darunter in Eiweiß, Fette und Kohlenhydrate. Letztere werden hier zu Traubenzucker verarbeitet. Diese Stoffe gelangen über die Darmwand ins Blut. Doch der dort zirkulierende Zucker kann von den Organen und Muskeln nicht direkt in Energie umgewandelt werden. Sie brauchen dafür einen Schlüssel: das Hormon Insulin. Hergestellt wird es in der Bauspeicheldrüse. Je mehr Nahrung in den Körper kommt, desto mehr Insulin wird auch ins Blut ausgeschüttet – dort kann es dann zur Energiegewinnung genutzt werden.

Cristina blickt bei Ihren Forschungen jedoch nicht in den Blutkreislauf, sondern in seinen Grenzbereich: ins Gehirn. Denn mit der sogenannten Blut-Hirn-Schranke ist das Gehirn als einziges Organ vom Blutkreislauf entkoppelt. Die sogenannte Neuro-Glia besteht aus unterschiedlichen Zelltypen. Ihre Aufgabe ist es, die Neuronen, Synapsen und ihre Signalwege mit einer Isolationsschicht zu ummanteln – damit ist das Gehirn aber auch von der Energiegewinnung im restlichen Körper abgeschnitten.

Die Neuro-Glia hat daher eine weitere Funktion zu erfüllen: das zentrale Steuerungsorgan nicht nur vom Blutkreislauf zu isolieren, sondern es gleichzeitig auch mit dem dringend erforderlichen Zucker aus dem Blut zu versorgen.

Doch durch die Neuro-Glia ist die Energieversorgung des Gehirns vom Insulin entkoppelt. (Einblendung: bis zu 25 % des Energieverbrauchs im Körper, 200 g Glukose pro Tag, Leistung ca. 20 Watt)

Astozyten gehören zu den Glia-Zellen im Gehirn. Sie bilden tentakelartige Fortsätze aus, mit denen sie die Blutbahnen umwickeln. Sie helfen dabei, den Zucker aus dem Blut zu extrahieren und an die umliegenden Nervenzellen weiterzugeben. Hier zu sehen: Astrozyten im Hypothalamus, dort, wo auch Appetit und Sättigungsgefühl des Organismus gesteuert werden.

Wie unterschiedliche Neuronen bei der Nahrungsaufnahme angeregt werden, sehen wir in diesen Hirnaufnahmen von Mäusen. Ein injiziertes Fluoreszenzmittel lässt die jeweils aktiven Neuronen leuchten. Schon seit einiger Zeit ist bekannt: Gibt man Mäusen Nahrung und spritzt ihnen gleichzeitig Glucose, dann fressen Tiere mit Fettleibigkeit und Diabetes länger weiter als gesunde Tiere. Offenbar löst das Gehirn erkrankter Mäuse das Sättigungsgefühl im Körper viel zu spät aus.

O-Ton (Übersetzung) Dr. Cristina Gárcia Cáceres, Neurobiologin, Helmholtz Zentrum München
Hier sieht man einen Schnitt im Hypothalamus. Die Farben zeigen Neuronen mit unterschiedlichen Aufgaben: In grün sehen sie hier Neuronen, die die Nahrungsaufnahme hemmen. Sie sind seit langem bekannt. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Forschung darauf konzentriert zu verstehen, wie diese Neuronen aktiviert werden und wie sie miteinander kommunizieren, um die Nahrungsmittelaufnahme zu regulieren. Es ging dabei auch darum zu klären, wie diese Neuronen auf andere Neuronen und Hormone reagieren.

Was aber läuft da falsch in den Neuronen? Oder ist es vielleicht gar kein Problem der Neuronen selbst, sondern ein Problem ihrer Peripherie? Tatsächlich greifen die Astrozyten der Glia, wie Cristina seit einigen Jahren weiß, selbst aktiv bei der Appetitsteuerung in das Hirngeschehen ein.

O-Ton (Übersetzung) Dr. Cristina Gárcia Cáceres, Neurobiologin, Helmholtz Zentrum München
Inzwischen wissen wir, dass es nicht ausreicht, die Funktion dieser Neuronen im Gehirn zu untersuchen. Wir müssen auch untersuchen, wie sich die ihnen nahe liegenden Zellen in der Glia verhalten. Wir glauben, dass bei Fettleibigkeit und bei Diabetes zwischen diesen Bereichen falsche Informationen ausgetauscht werden.

Wie sich herausgestellt hat: Die Astrozyten in der Region des Hypothalamus haben neben der Energiezufuhr eine wichtige Zusatzaufgabe. Sie messen laufend den Insulin-Gehalt im Blut und kommunizieren diesen an die nächstliegenden Neuronen weiter. Dafür sind sie wie die Organe mit einem Insulin-Rezeptor ausgestattet, allerdings nicht, um das Insulin für die Energieproduktion zu nutzen, sondern nur, um es messen zu können. Zwar bekommt das Gehirn Informationen über die Energieproduktion auch direkt aus den Organen zugespielt, doch bei dieser für das Überleben des Gehirns so zentralen Frage des Energiehaushaltes gewährleisten Mehrfachmessungen möglichst große Datensicherheit.

O-Ton (Übersetzung) Dr. Cristina Gárcia Cáceres, Neurobiologin, Helmholtz Zentrum München
Wir nehmen an, dass Insulin für das Gehirn ein direkter Sensor für den Zuckergehalt im Körper ist. Er ist genau dann hoch, wenn viel Insulin im Körper ist, beides hängt also zusammen. Dann signalisieren die Astrozyten den Neuronen im Gehirn, ich messe viel Insulin, also ist der Zuckergehalt hoch und es wurde viel Nahrung aufgenommen. Die Astrozyten messen also die Schwankungen des Insulingehalts und damit den sich ändernden Zuckergehalt im Blut. Für das Gehirn bedeutet diese Information: Es gibt genug Nahrung im Körper und man muss jetzt mit dem Essen aufhören. Das Gehirn aktiviert daraufhin Schaltkreise, um das Essen zu stoppen. Es gibt genug Energie im Körper, um das ganze System unter normalen Bedingungen aufrecht zu erhalten.

Bei Diabetes vom Typ II ist die komplexe Insulin-Regelung im Körper gestört. Und von dieser Fehlfunktion sind offenbar auch die Astrozyten betroffen – das hat Cristina an Mäusen nachweisen können.

O-Ton (Übersetzung) Dr. Cristina Gárcia Cáceres, Neurobiologin, Helmholtz Zentrum München
Früher haben Forscher gedacht, dass es für das Verständnis oder auch für die Behandlung von Fettleibigkeit und Diabetes nur wichtig ist, die Funktionalität der Neuronen zu untersuchen. Doch alles ist viel komplexer. Nur die Vorgänge in Neuronen zu betrachten, reicht längst nicht aus. Also, wenn die Astrozypten das Insulin nicht richtig messen können, dann informieren sie das Gehirn falsch über den Zuckergehalt im Blut. Das Gehirn stoppt das Signal, mit dem Essen aufzuhören, deshalb nicht rechtzeitig, weil es von den Astrozyten über den Zuckergehalt nicht richtig informiert worden ist. Die Neuronen selbst können da ganz einwandfrei funktionieren, wenn sie aus ihrer Peripherie falsche Daten übermittelt bekommen, dann können sie auch nicht die richtigen Signale in den Körper senden.

Ein weiterer Puzzlestein ist gefunden, wie Diabetes II im Körper entsteht. Doch immer noch bleiben viele Fragen offen, wie die Wissenschaftlerin weiß.

Wir wissen natürlich längst noch nicht genau, wie das Gehirn das Körpergewicht oder die Nahrungsaufnahme reguliert. Es spielen noch viele Faktoren eine Rolle. Das muss alles noch erforscht werden. Wir denken aber, dass es bei Fettleibigkeit oder Diabetes auf jeden Fall eine falsche Kommunikation zwischen Astrozyten und Neuronen gibt. Die Astrozypten messen den Insulingehalt falsch, so sagen die Neuronen dem Körper nicht, du musst aufhören zu essen.

Mit ihrem Team hat Cristina aufgedeckt, was genau in den nicht funktionsfähigen Astrozyten passiert ist. Dafür schalten sie den Insulin-Rezeptor ganz gezielt aus.

O-Ton (Übersetzung) Dr. Cristina Gárcia Cáceres, Neurobiologin, Helmholtz Zentrum München
Wir injizieren Tieren Glukose in den Körper. Wir arbeiten mit Mäusen – einerseits mit gesunden Tieren, aber auch mit solchen, die Insulin in den Astrozyten nicht messen können. Wir geben den Mäusen zu fressen und schauen dann was passiert, wenn der Zucker ins Gehirn kommt. Bei gesunden Tieren erkennt es, dass Zucker angekommen ist und löst dort Schaltkreise aus, die die Nahrungsmittelaufnahme stoppen. Das sehen wir in der Kontrollgruppe. Zuerst sind die Mäuse hungrig, aber das Gehirn erkennt schnell, dass durch die Injektion schon genügend Zucker im Körper ist. Sie senden dann das Signal der Sättigung. Die Mäuse hören auf zu fressen. Doch wir können bei Mäusen den Rezeptor für die Insulin-Messung in den Astrozyten ganz gezielt ausschalten, da ist das dann anders. Hier dauert es deutlich länger, bis das Gehirn erkennt, dass genug Zucker vorhanden ist. Diese Tiere fressen deutlich länger weiter. Und das nur deshalb, weil die Astrozyten das Insulin im Körper nicht mehr messen können und so das Gehirn über den Insulingehalt nicht richtig informiert ist.

Hier in Cristinas Labor werden Zellproben ihrer neuesten Mäuseexperimente gerade für die weitere mikrozelluläre Analyse vorbereitet. Es ist Grundlagenforschung, die noch viele solcher Versuche erfordert, ehe sie für die Medizin nutzbare Ergebnisse bringen wird.

Doch für die Expertin zeigt sich immer deutlicher: Fettleibigkeit lässt sich als Hirnerkrankung einstufen, denn die relevantesten Defekte finden offenbar im Kopf statt.
 
 
Erstsendung: August 2018
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© Vorschaubild: pixabay geralt

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