Was ist gesunde Ernährung?

Was ist gesunde Ernährung?

Like This Video 0 Susanne
Added by 20. Oktober 2017


 

Mikrobiom-Forschung zwischen statistischen Korrelationen und molekularen Analysen

 

Die Ernährungswissenschaft sucht nach den Zusammenhängen zwischen Nahrung, Gesundsein und Krankwerden. Bisher lassen sich anhand statistischer Analysen bestimmte Korrelationen nachweisen, also typische Muster in der Zusammensetzung der Bakterien im Darm, die Frage nach dem „warum“ dieser Abhängigkeiten ist aber vorläufig noch im Dunkel. Grundlagenforscher beginnen jetzt damit, die Wirkungsmechanismen einzelner Bakterien im Darm zu entschlüsseln – und sich so der Frage von der anderen Seite zu nähern. Noch aber ist diese Grundlagenforschung weit davon entfernt, harte Aussagen darüber treffen zu können, wie sich der Einzelne gesund ernähren kann. Nur die längst bekannte Leitlinie gilt als erwiesen: Wer Sport treibt und nicht fett wird, tut in jedem Fall das Richtige für ein gesundes Leben.

 
Die gesamten Telefon-Interviews aus der Reportage sind auf YouTube nachzuhören:
Interview mit Prof. Haller, TU München, „Machen Darmbakterien krank?“ (12 Minuten) – hier
Interview mit Prof. Blaut, Institut für Ernährungsforschung, „Hundert Bakterien steuern den Darm“ (16 Minuten) – hier
 
Sprechertext der Sendung:
 
Fast jeden Tag lesen wir in den Medien von neuen Diäten oder über gute Ratschläge von teilweise selbst ernannten Experten in Sachen richtiger Ernährung. Denn auch wenn sich nicht viele unbedingt an solche Empfehlungen halten möchten, wollen doch alle wissen: Was macht uns beim Essen krank und wie ernähre ich mich richtig, um gesund zu bleiben?

Die Aufnahme von Nahrung ist eine zentrale Anforderung für die Lebensfähigkeit von Organismen. Dennoch hat die Wissenschaft das komplexe System des Stoffwechsels im Körper bis heute nur ansatzweise entschlüsselt. Bis vor kurzem waren epidemiologische Studien die wichtigste wissenschaftliche Methode des einschlägigen Erkenntnisgewinns. In ihrer modernen Form werden von Probanden nicht nur Fragebögen zu den Ernährungsgewohnheiten, Lebensweisen und Erkrankungen abgefragt, sondern diese inzwischen auch mit labortechnisch analysierten Blutproben oder gentechnisch sequenzierten Stuhlproben ergänzt. Der Experte spricht von sogenannten „prospektiven Kohorten“, wenn solche epidemiologischen Erhebungen nicht nur einmal durchgeführt werden, sondern die Daten von den Teilnehmern über längere Zeiträume hinweg mehrfach erfasst sind. Damit sollen auch Voraussagen über die Prädisposition von Krankheiten möglich werden. In der bis heute laufenden europaweiten Kohorten-Studie EPIC beispielsweise (Einblendung EPIC = European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) wurden seit den neunziger Jahren anfänglich mehr als 500.000 gesunde Studienteilnehmer in Abständen von zwei Jahren untersucht. Dabei sollen Korrelationen zwischen Ernährung und Krebs sowie anderen chronischen Erkrankungen epidemiologisch, also durch statistische Auswertung der erhobenen Daten, untersucht werden.

O-Ton Telefon-Interview – Prof. Dr. Dirk Haller, Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie, TU München

Biochemiker, Immunologen und Mikrobiologen blicken also ganz anders auf das Thema Ernährung. Sie untersuchen die zugrunde liegenden molekularen Vorgänge im Darm und wollen die zellulären Wirkungsmechanismen des sogenannten Mikrobioms funktional ergründen. Eine Vielzahl von Mikroorganismen lebt symbiotisch in unserem Verdauungstrakt – ein großer „Kosmos“ in der Größenordnung von 1013 solcher Bakterien ist inzwischen bekannt. Das Mikrobiom, das früher als Darmflora bezeichnet wurde, bildet sich erst im Frühstadium von Lebewesen heraus. Seine Zusammensetzung wird nicht nur über die Ernährung allein gesteuert. Alles, was Babies oral aufnehmen – nicht nur über die Nahrung, sondern auch über die Luft -, trägt dazu bei. Bei Erwachsenen unterscheiden sich die Mikrobiome ebenfalls – und verändern sich auch im Lauf des Lebens. Da sie durch unterschiedliche Ernährung stark geprägt sind, unterscheiden sie sich auch regional.

Woher wir all das wissen? Moderne Gensequenzier-Maschinen lesen heute in Stuhlproben dieses „Metagenom“ aller darin enthaltenen Lebensformen aus. Geeignete Software erlaubt sogar statistische Aussagen, wie häufig die darin enthaltenen Bakterienarten vorkommen. Wieso aber, wollte ich vom Experten wissen, gibt es heute so unterschiedliche Zahlen in der Literatur über die Bakterien im menschlichen Darm?

O-Ton Skype-Interview – Prof. Dr. Michael Blaut, Ernährungswissenschaftler, Abteilungsleiter Gastrointestinale Mikrobiologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung

Wie viele Bakterien also trägt ein Individuum so in seinem Darm mit sich herum – und sind alle gleich wichtig?

O-Ton Skype-Interview – Prof. Dr. Michael Blaut, Ernährungswissenschaftler, Abteilungsleiter Gastrointestinale Mikrobiologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung

Von der Variabilität des menschlichen Mikrobioms haben Forscher inzwischen schon eine gute Vorstellung entwickelt. Doch die Einzelfunktionen der darin befindlichen Bakterien wie auch ihr Zusammenspiel stellen noch weitgehend eine Blackbox dar. Dennoch beginnt sich abzuzeichnen, dass die Mikroorganismen in unserem Darm kausal an der Entstehung chronischer Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes, ja sogar an Multipler Sklerose und Autoimmunerkrankungen mit beteiligt sein können. Ein Forschungsschwerpunkt von Michael Blaut ist beispielsweise die Frage, wie Fettleibigkeit und metabolische Erkrankungen möglicherweise mit der Aktivität bestimmter Darmbakterien zusammenhängen.

O-Ton Skype-Interview – Prof. Dr. Michael Blaut, Ernährungswissenschaftler, Abteilungsleiter Gastrointestinale Mikrobiologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung

Und für wie gesichert halten Sie die Erkenntnis, dass uns Bakterien im Darm sozusagen dick machen? Gäbe es auch eine andere Erklärung dafür?

O-Ton Skype-Interview – Prof. Dr. Michael Blaut, Ernährungswissenschaftler, Abteilungsleiter Gastrointestinale Mikrobiologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung

Die junge Forschungsdisziplin ist in Aufbruchsstimmung. Festzuhalten bleibt aber, dass unser Wissen um das mikrobakterielle Ökosystem noch viele Fragezeichen zeigt. Für den Grundlagenforscher Dirk Haller ist es daher das Gebot der Stunde, überhaupt keine spezifischen Ratschläge in Sachen “gesunder“ Ernährung zu geben.

O-Ton Telefon-Interview – Prof. Dr. Dirk Haller, Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie, TU München

Eine derart radikale Sicht kann sich ein Grundlagenforscher durchaus leisten. Nicht hilfreich ist sie indessen für Ernährungsmediziner, die trotz des unvollkommenen Wissens kranken Menschen bei Ernährungsfragen auch heute helfen möchten. Auf eine kurze Formel gebracht heißt das:

O-Ton Telefon-Interview – Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Fachärztin für Gastroenterologie und Bereichsleiterin Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Erlangen

Yurdagül Zopf ist überzeugt, dass auch bei schweren Erkrankungen ein auf die Therapie abgestimmter Ernährungs- und Bewegungsplan nicht nur das Wohlbefinden der Patienten hebt, sondern sogar lebensverlängernd wirkt. Auch Muskelaufbau als Medizin!

O-Ton Telefon-Interview – Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Fachärztin für Gastroenterologie und Bereichsleiterin Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Erlangen

Noch ist dies eine neue Behandlungsmethode, hervor gegangen aus interdisziplinärer Forschung. Den Menschen beispielsweise in der Krebstherapie als Ganzheit zu betrachten, ist immer noch nicht medizinischer Standard. Noch viel Überzeugungsarbeit ist dafür zu leisten.

O-Ton Telefon-Interview – Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Fachärztin für Gastroenterologie und Bereichsleiterin Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Erlangen

Bei Zopf sind statistische Einschätzungen eine wichtige Stütze der Erkenntnis. Sie entstehen schon durch die große Zahl tausender Patienten, die hier im Universitätsklinikum in Erlangen behandelt werden. Allerdings wird das mit labortechnischen Untersuchungen untermauert.

O-Ton Telefon-Interview – Prof. Dr. Yurdagül Zopf, Fachärztin für Gastroenterologie und Bereichsleiterin Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Erlangen

So viel steht heute also fest: Der Darm – eine wichtige Steuereinheit fürs menschliche Wohlbefinden, aber auch fürs Gesundsein oder die Entstehung von Krankheiten. Hart bewiesen ist das meiste indessen nicht. Denn solche Aussagen fußen heute vorwiegend auf Wahrscheinlichkeitsaussagen, nicht auf dem naturwissenschaftlich exakten Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen, das Biochemiker und Molekularbiologen zu finden hoffen.

O-Ton Skype-Interview – Prof. Dr. Michael Blaut, Ernährungswissenschaftler, Abteilungsleiter Gastrointestinale Mikrobiologie, Deutsches Institut für Ernährungsforschung

Soweit also die schlechte Nachricht. Doch es gibt ebenso eine gute. Und trotz unterschiedlicher Auffassungen im Detail wird sie von allen mit Ernährung befassten Experten unisono genannt. Und diese Botschaft ist sogar ziemlich einfach.

O-Ton Telefon-Interview – Prof. Dr. Dirk Haller, Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie, TU München

 
 
Erstsendung: Oktober 2017
© 2017 mce mediacomeurope GmbH

 
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