Die Entdeckung der Leere

Die Entdeckung der Leere

Like This Video 0 Susanne
Added by 14. März 2017


 

Kosmologen suchen in den „Voids“ den Nachweis für die Dunkle Energie

 

Die kosmische Leere ist zu einer Trenddisziplin der Astrophysiker geworden. Mit neuesten Technologien beginnen sie die komplementäre Welt des sichtbaren Universums zu erforschen. Denn die „Voids“, wie sie die Fachwelt nennt, geben im Verbund mit dem sie umgebenden kosmischen Web nicht nur Aufschluss über die großräumigen Strukturen des Kosmos, sondern sind auch für die Erforschung der Dunklen Materie relevant. Mit ihnen lassen sich sogar Anomalien in der dreizehn Milliarden Jahre alten Hintergrundstrahlung aus dem Beginn des Universums untersuchen.

 
Sprechertext der Sendung:
 
Nico Hamaus ist Kosmologe. Er befasst sich mit der Theorie und Simulationen großräumiger Strukturen im Universum und gehört zur „new generation“ der Himmelsgucker. Denn er interessiert sich für einen recht exotischen Teil des Himmels: nicht für mächtige Galaxien oder noch gewaltigere Superhaufen, die durch die Gravitationskräfte permanent in dynamischer Eigenbewegung sind. Hamaus fasziniert das kosmische Nichts, jener Teil des Universums, der zwischen den leuchtenden Himmelsobjekten liegt und den die Experten inzwischen weltweit als „Voids“ bezeichnen.

Die noch extravagante Erforschung der kosmischen Leere ist stark im Kommen. Denn sie kann uns viel über die Welt sagen, wie sie ist. Möglich wird sie, da wir eine immer bessere Vorstellung darüber entwickelt haben, wie sich die Himmelsobjekte zu einem kosmischen Web formieren. Diese Strukturen umgrenzen dabei große Räume des Nichts – auch wenn Nico Hamaus eine derart pauschale Formulierung gleich einmal korrigiert.

O-Ton Dr. Nico Hamaus, Kosmologe an der Universitäts-Sternware München

Die Leere als komplementärer Teil des sichtbaren Universums ist also zuerst einmal nicht „leer“. Beobachtbar wird sie für uns vor allem deshalb, weil sie von sichtbarer Materie umrandet ist. Zudem sind die Voids aber von etwas erfüllt, etwas, das wir heute auch mit den besten Teleskopen nicht direkt sehen können – und dieses Etwas interessiert Hamaus ganz besonders.

Es ist das, was man heute „Dunkle Energie“ nennt: ein Etwas, von dem wir glauben zu wissen, dass es den gesamten Raum durchfluten muss. Nur mit ihr ist die Expansion des Weltalls nach der Theorie überhaupt möglich.

Übersetzung O-Ton René Laureijs, Wissenschaftlicher Projektleiter ESA-Sonde Euclid
Wenn wir die gesamte Materie des Kosmos zusammenzählen, selbst mit der Dunklen Materie, dann expandiert das Universum immer noch mit einer Geschwindigkeit, die wir nicht erklären können. Vor rund fünfzehn Jahren ist es gelungen, die Expansion an Supernova-Explosionen auch in größeren Entfernungen richtig zu messen. Diese Messung zeigte uns, dass sich die Expansion des Weltalls sogar beschleunigt. Es muss also eine zusätzliche Komponente geben, die diese Beschleunigung verursacht. Der Astrophysiker bezeichnet dieses Etwas heute als „Kosmologische Konstante“. Sie hat den Namen Lambda erhalten. Der griechische Buchstabe steht an vorderster Front einer Kurzformel, die heute auf der Basis der Allgemeinen Relativitätstheorie auch die Dunkle Welt beschreibt.

Es geht dabei um die widerstreitenden Kräfte im Kosmos: Auf der einen Seite Einsteins Gravitation mit der sichtbaren Materie und der dafür neu hinzu gefügten Dunklen Materie. Sie wird benötigt, um die inzwischen präzise messbaren Gravitationskräfte im Kosmos erklären zu können. Auf der anderen Seite steht die beschleunigte Expansion, eine entgegengesetzt wirkende Kraft. Verantwortlich dafür: die Dunkle Energie.

O-Ton Dr. Nico Hamaus, Kosmologe an der Universitäts-Sternware München

Warum aber sind gerade die Voids, also die leeren Stellen des Kosmos, so ein Hype-Gebiet für alle, sie sich mit dieser geheimnisvollen Dunklen Energie befassen?

O-Ton Dr. Nico Hamaus, Kosmologe an der Universitäts-Sternware München

In den Voids ist die Dunkle Energie also am besten indirekt zu erforschen. Und das geht so: Wenn ein Photon als elektromagnetische Welle durch das Universum reist, wird es dabei auch von den beiden Kräften beeinflusst. Verlässt es eine Region einer großen Materieansammlung und fliegt in den leeren Raum hinein, dann führt die Anziehungskraft der zurück liegenden Masse dazu, dass das Photon Energie verliert und dabei die Wellenlänge zunimmt. Nähert es sich dann wieder dem Anziehungsbereich einer anderen Gravitations-Struktur, nimmt das Licht wieder Energie auf. Wäre das Universum statisch, würden sich diese beiden Effekte gegenseitig aufheben. Doch während das Photon die Leere von der einen zur anderen Seite durchquert, beschleunigt sich die Expansion, in Summe verliert das Photon Energie. Für den Beobachter wird das in der Rotverschiebung des Lichts offenkundig.

Je größer also ein Void, desto deutlicher diese Differenz. So wollen die Forscher in solchen Leeren einen weiteren Nachweis dafür finden, dass sich die Expansion im Universum beschleunigt. Sie hoffen, dass diese minimalen Unterschiede darin messbar werden. Einerseits – aber andererseits: Es ist sehr aufwändig, das extrem schwache Licht, das sich durch diese großen leeren Räume auf uns zu bewegt, überhaupt aufzuspüren. Erst jetzt gibt es Messmethoden, diese scheinbar leeren Teile des Universums doch „sichtbar“ zu machen und damit diesen Forschungsbereich zu erschließen.

In den Voids forschen Astrophysiker heute sogar bis in die Zeiten kurz nach dem Urknall zurück.

Grundlage ist die Hintergrund-Strahlung, die den ganzen Kosmos homogen erfüllt. Sie entstand 380.000 Jahre nach dem Urknall, als es bei der Bildung der ersten Atome zu einem gewaltigen elektromagnetischen Blitz der Materie kam. Diese hochenergetische Lichtstrahlung hat im Lauf der Entwicklung des expandierenden Universums immer mehr an Energie verloren. Heute ist dieses Nachglühen aber immer noch messbar. Doch um die Hintergrundstrahlung so zu sehen, wie sie damals war, muss das Licht aus dem sogenannten Vordergrund erst mühsam heraus gefiltert werden – das Licht aus der Milchstraße und anderen Galaxien. Das Ergebnis ist zuletzt eine bereinigte Karte der Hintergrundstrahlung. Zeuge der Quantenfluktuationen des jungen Universums.

Doch darin gibt es Anomalien, die durch die Theorie bis heute nicht erklärt werden können – zum Beispiel relativ große dunkle Flecken besonders niedriger Temperatur, darunter auch der berühmte Kalte Fleck.

O-Ton Dr. Nico Hamaus, Kosmologe an der Universitäts-Sternware München

Könnten diese besonders kalten Anomalien ein weiterer Effekt im Vordergrund sein, ein Störeffekt also, der allerdings nicht durch leuchtende Himmelskörper verursacht ist, sondern durch die kosmische Leere? Diese Frage faszinierte Istvàn Szapudi. Er untersuchte, ob sich Regionen wie die des Kalten Flecks irgendwie mit großen Dunkelstellen zur Deckung bringen lassen. Ein extrem schwieriges Unterfangen. Szapudi ist allerdings ziemlich sicher, dass es ihm inzwischen gelungen ist, dem Kalten Fleck ein Void zuordnen zu können: eine gigantische Leere im Kosmos, die größte, die jemals gemessen wurde.

Zur weiteren Klärung all solcher Fragen rund um die universale Leere setzen die Void-Analytiker jetzt auf Euclid. In wenigen Jahren wird diese ESA-Sonde damit beginnen, den ganzen Himmel zu kartographieren und die dunkle Seite des Universums zu erfassen. Das wird dann auch wichtige Daten über die Vorgänge in der Leere liefern.

Übersetzung O-Ton Laureijs, Wissenschaftlicher Projektleiter ESA-Sonde Euclid
Dafür haben wir ein hoch präzises Teleskop gebaut, mit dem sich die Strukturen der Dunklen Materie umfassend kartieren lassen – und mit dem wir auch die Eigenschaften der Dunklen Energie erschließen können.

Euclid wird die Rotverschiebung des gesamten beobachtbaren Lichts am Himmel vermessen – bis in eine Entfernung von zehn Milliarden Lichtjahren hinein, also auch dort, wo die Leere dominiert. Nicht erstaunlich, dass sich auch Nico Hamaus schon heute darauf freut. Die räumlich aufgeschlüsselten Beobachtungsdaten der Expansionskräfte bis tief ins Weltall bringen für die jungen und aufstrebenden Forscher des Nichts einen wertvollen neuen Daten-Schatz aus der Dunklen Welt des Universums.
 

 

© Vorschaufoto: Europäische Südsternwarte ESO

Erstsendung: März 2017

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